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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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stützte Aubrys Kopf in der Beuge ihres Ellbogens und fütterte ihn mit etwas Gerstenbrei, den sie geduldig wieder in seinen Mund löffelte, wenn er ihn ausspuckte. »Warum lassen sie uns dann überhaupt mit sich reisen?«
    »Wie sollten sie uns fortjagen? Außerdem ist ein einziges Schwert besser als gar keins. Die Vis Sestani mögen keine großen Gruppen von Söldnern – zu viele Erinnerungen an ihre eigenen Söldner, die sich gegen sie wandten, vermute ich –, aber sie sind durchaus froh, auf Reisen ein oder zwei Kämpfer bei sich zu haben.«
    »Wieso weißt du so viel über sie?«
    »Ich bin schon früher mit ihnen gereist.« Brys kratzte den Rest Brei aus dem Topf und stand auf, um ihn mit Schnee zu reinigen. »Und einmal hat mich ein Mann angeheuert, der fand, dass sie seine Tochter nicht hätten mitnehmen sollen. Also habe ich auch sie getötet.«
    Am vierten Tag ging Odosse zu den Vis Sestani.
    Sie hatte so gut wie keine Milch mehr, und Wistans Zustand verschlechterte sich bei seiner Kost aus Salzbrühe und Haferschleim immer mehr. Der Winter war noch jung und relativ mild, stellte jedoch eine weitere Belastung für das Kind dar, und der Kleine hatte keine überschüssige Kraft. So genügsam das Sternenvolk anscheinend war, so glaubte Odosse doch, dass sie einen Heiler bei sich haben müssten. Auf der Suche nach einer Gesegneten waren sie nach Tarnebrück gegangen, jedoch vergebens; vielleicht hatte sie hier mehr Glück. Wenn die Vis Sestani einer unfruchtbaren Frau Kinder schenken konnten, dann konnten sie gewiss auch ein Kind retten, das bereits geboren war.
    Sie gürtete ihren Umhang, straffte den Rücken und marschierte die kurze Strecke, die sie von der Karawane trennte. Brys sah ihr mit kaum mehr als einem leichten Zucken der Lippen nach: ein Grinsen, dessen war sie gewiss, dazu eines, das sie nicht auch noch unterstützen wollte. Odosse ließ ihn beim Pferd zurück und ging allein hinüber, die Babys links und rechts an ihren Rücken geschmiegt.
    Die Vis Sestani warfen ihr seltsame Blicke zu, als sie zwischen ihnen einherschritt, reizlos wie eine Gans unter Pfauen in ihrem schlichten, braunen Umhang. Selbst auf der Straße bevorzugte das Sternenvolk leuchtend bunte Schals und klimpernde Silberketten mit darin eingelassenen bunten Steinen, obwohl ihre Kleidung vom Schnitt her praktisch war, wenn auch nicht von den Farben. Odosse war sich ihres schlammbraunen Haares inmitten eines Meeres aus feurigen Rottönen deutlicher denn je bewusst, ebenso ihrer Plumpheit und Unbeholfenheit unter so vielen Menschen, die sich bewegten wie Schwäne. Die Ochsen hatten mehr Anmut als sie.
    Es spielte keine Rolle, sagte sie sich resolut. Ein Dämpfer für ihre Eitelkeit konnte sie nicht davon abhalten, einen Heiler für Wistan zu finden.
    »Verzeih mir«, sagte sie zu dem ersten Vis Sestan, der ihren Blick auffing, einen Jungen mit langen Gliedmaßen und einem blauen Stern mitten auf der Stirn. »Mein Baby braucht einen Heiler. Habt ihr einen unter euch?«
    Der Junge starrte sie einen langen Moment an, während die Pferde schnaubten und die Ochsen an ihr vorbeitrotteten. Odosse fragte sich, ob er sie verstanden hatte. Vielleicht sprach er kein Rhaellanisch. Als sie gerade weitergehen und jemand anderen fragen wollte, zeigte der Junge stumm auf einen Wagen weiter vorn. Im Gegensatz zu den anderen hingen an seinen Seiten keine Bronzeglocken oder sonnengebleichte Schals. Auch er war mit Sternen übersät wie alle übrigen Wagen der Vis Sestani, aber wo die anderen mit den Mustern bemalt waren, die den Gesichtern der Besitzer eintätowiert waren, zierten diesen Wagen die Sternenmuster aller Mitglieder der Karawane. Alle Sterne waren in Schwarz-Weiß ausgeführt, schlicht und nur in Umrissen aufgemalt. Odosse ahnte voller Unbehagen, dass dies Sterne waren, die tote Vis Sestani getragen hatten.
    »Danke«, murmelte sie. Sie wusste nicht genau, ob sie es ehrlich meinte, und eilte zu dem Wagen hinüber.
    Ein Mädchen saß vorn und lenkte. Es konnte kaum älter als zwölf oder dreizehn sein, besaß jedoch schon eine ätherische Schönheit. Sein Haar war lang und von einem leuchtenden Schwarz, neben dem der Nachthimmel stumpf erschien, die Haut fast so weiß wie der Schnee, mit dem die Laubhaufen rings umher überkrustet waren. Die Augen waren so groß und so dunkel, dass sie kaum menschlich wirkten. Diese Augen schienen gleichzeitig blind und durchdringend zu sein, als könnten sie in Seelen lesen, aber Gesichter nicht

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