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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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entfernt, als erlitte ihn ein anderer. Bohnen und Brühe spritzten wie das Erbrochene eines Betrunkenen über den Boden. Sie spürte Aubry an ihrer Brust zusammenzucken. Dann krachte der Kessel dem Ungeheuer ins Gesicht, und sie hörte Knochen unter dem Metall brechen, dazu das wütende Zischen von versengtem Fleisch. Sie ließ los. Auf der Innenseite ihrer Hand schwoll eine rote Linie an. Ein wenig Haut hatte sich abgelöst.
    Das Ungeheuer, das sie getroffen hatte, stolperte schreiend umher. Eins seiner Augen war eine geschmolzene Masse, bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht; das andere hielt es auf sie gerichtet, und darin zeigten sich wilder Hass und Hunger. Die Hälfte des Mundes hatte sie mit dem Kessel zerschmettert, und die gezackten Zähne ragten durch das Fleisch der Wange wie vom Sturm umgerissene Bäume auf einem Hügel. Aber es war noch genug übrig, dass es sie töten könnte.
    Odosse wich weiter zurück. Sie hatte jetzt fast die Grenze des Feuerscheins erreicht und konnte immer schlechter sehen; sie hatte so lange vor den Flammen gesessen, dass sie in der Dunkelheit beinahe blind war. Das Ungeheuer, das sie jagte, war anscheinend nicht derart behindert. Das unversehrte Auge hielt es weiter auf das Baby in ihrem Arm gerichtet, während das andere ihm in gallertartigen Rinnsalen übers Gesicht lief.
    Es sprang los. Und Odosse, die immer noch zurückwich, glitt auf einem Stein unter dem Schnee aus und stürzte.
    Als sie auf dem Boden aufschlug, wich ihr alle Luft aus den Lungen. Sie trat wild und blind nach dem Ungeheuer, schrie Worte ohne Sinn und versuchte, Aubry mit dem eigenen Körper abzuschirmen. Die Kreatur knurrte, und ihr Atem roch nach überhaupt nichts, sondern war bloß eisig.
    Klauen zerrissen ihren dicken, wollenen Umhang, als wäre er so dünn wie die Haut einer Zwiebel. Etwas Eisigeres als der Wind glitt über Odosses Rücken, und wo sie diese Berührung spürte, erstarrte ihr Fleisch bis ins Mark ihrer Knochen. Sie erwartete, Blut zu fühlen, warm und feucht, aber da war nur endlose Kälte.
    Dann warf sich das Ungeheuer auf sie, und wieder entwich die Luft ihren Lungen. Im nächsten Moment war es verschwunden.
    Odosse sah langsam auf. Ihr linkes Auge war zugeschwollen; sie erinnerte sich nicht, warum. Aubry lag noch immer in ihren Armen und schrie laut genug, um den Mond zu erschüttern, und sie sandte ein schnelles Dankgebet an die Strahlende, dass ihr Sohn unverletzt war, dass er noch immer mit solcher Kraft schreien konnte.
    Das Ungeheuer lag der Länge nach im Schnee, kaum einen Schritt entfernt. Es war kopflos, wand sich jedoch noch immer und krallte sich wild in den Boden, während Brys, der ihm einen Stiefel auf den Rücken gestellt hatte, die Gliedmaßen eine nach der anderen abhackte. Er blutete heftig aus einer Wunde an der Wade; der obere Teil seines Stiefels war zu drei nassen Streifen zerrissen.
    Sie richtete sich auf. Ihre Schulter pochte, und die Hand schmerzte, aber sonst spürte sie noch nichts. Ihr Rücken war kalt und seltsam steif, als habe sie einen langen Tag damit verbracht, Feuerholz zu schleppen. Ihr Umhang war mit Blut bespritzt, wo die Kreatur die Wolle zerrissen hatte. Odosse berührte die taube Stelle. Als sie die Hand wegzog, war sie klebrig vom Blut. Es war nicht so viel, wie sie befürchtet hatte. Aber es war kalt, so kalt wie ihr Rücken bei der Berührung, und in dem ungewissen Licht glänzte es auf ihrer Hand wie schwarzes Schmelzwasser.
    Das andere Ungeheuer lag auf der anderen Seite des Feuers, und ein großes Loch klaffte in seiner Brust. Sein Kopf war in die Beuge eines ausgestreckten Arms gerollt. Tot sah es menschlicher aus als zuvor.
    Ihr war so kalt. Odosse raffte ihren zerrissenen Umhang zusammen und wickelte ihn enger um sich und Aubry. Sie rückte von dem Leichnam ab, den Brys verstümmelte, näher ans Feuer heran, und hielt einen wachsamen Blick auf die Kreatur gerichtet, die reglos danebenlag.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie, heiser krächzend. »Was waren sie?«
    »Ghaole«, erwiderte Brys. Er kehrte zum Feuer zurück und wischte sein Schwert ab, obwohl noch immer kein Blut an der Klinge klebte. Sein Gesicht war sehr bleich, sein Kiefer verspannt vor Schmerz. »Werkzeuge der Dornen. Leichen von Männern, die sie getötet und zu falschem Leben wiedererweckt haben. Wir müssen gehen. Wir müssen weiter, solange wir noch können.«
    »Aber du bist verwundet.«
    Ein raues Schnarren kam von ihm. Odosse benötigte einen Augenblick, bis sie

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