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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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der Söldner wollte nichts davon wissen. Sie hatten den bayarnischen Wald hinter sich gelassen, und um genug Holz zu sammeln, hätten sie mit der Axt einen der knorrigen, eisbedeckten Bäume zerschlagen müssen, die auf den Hügeln am Straßenrand wuchsen. Die Errichtung eines Scheiterhaufens – selbst eines solchen für ein Kind – würde einen ganzen Nachmittag in Anspruch nehmen, und Brys beharrte eisern darauf, dass Sentimentalität keine Ausrede für eine Verzögerung sei.
    »Er ist tot«, erklärte er energisch, als sie nachfragte. »Nichts, was du tust, wird daran etwas ändern, und ihn wird es wohl kaum noch kümmern.«
    »Was soll ich dann tun? Ihn einfach an den Straßenrand werfen?«
    »Könnte genau das Richtige sein. Weniger Arbeit für die Füchse, ihn zu finden.«
    »Wie kannst du nur so grausam sein?«, fragte Odosse, den Tränen nahe. Sie hatte diesem Kind zu essen gegeben, hatte es gehegt und im Schlaf an sich gedrückt. Sein Tod war vielleicht nicht ihre Schuld, aber ihr Versagen. Wistan war einmal geliebt worden; er war im Namen der Sonne gesalbt worden und hatte unter Celestias Licht gelebt. Er verdiente ein anständiges Begräbnis.
    Aber ihr Gefährte blieb unnachgiebig. »Es ist besser für ihn und besser für uns, als ihn unter einem Haufen Steinen zu begraben. Keine Dorne hat jemals eine Marionette aus einem Leichnam gemacht, der sich im Bauch eines Fuchses befand.« Brys blieb stehen und sah sie an, das Gesicht steinhart durch den weißen Nebel seines Atems. »Sentimentalitäten sind an die Toten vergeudet. Je früher du das lernst, desto besser. Tu, was praktisch ist, nicht das, wovon irgendein rührseliger Solaros dir gesagt hat, es sei freundlich . Das bedeutet gar nichts. Freundlich zu sein ist eine Verschwendung von Mühe, und verschwendete Mühe bedeutet, dass du tot bist. Lass ihn los und zieh weiter.«
    »Es ist nicht nichts. Es ist das, was uns zu Menschen macht«, murmelte Odosse, aber er hatte sich bereits abgewandt und hörte sie nicht.
    Am Ende ließ sie Wistan unter einem Baum in der Nähe der Straße liegen, wollte aber nicht auf ein minimales Ritual verzichten. Sie wickelte ihn in Kaninchenfelle, damit er es in der nächsten Welt wärmer hätte als in dieser, und schob ihm eine Münze in den Mund, um den Zoll der Letzten Brücke zu bezahlen. Schließlich nahm sie die winzige, blaue Phiole hervor, die sie in einem anderen Leben der Amulettmacherin abgekauft hatte, öffnete das Fläschchen und salbte den kalten, flaumbewachsenen Kopf mit duftendem Öl.
    »Wie wir im Licht geboren werden, so kehren wir ins Licht zurück«, flüsterte Odosse, als das Öl wie träge, dunkle Tränen über Wistans Lider tröpfelte. An den Rest des Scheiterhaufengebetes konnte sie sich nicht erinnern. Sie hatte nicht viele Beerdigungen in ihrem Leben erlebt. Nicht viele Tote, bis Weidenfeld, und dann war niemand mehr übrig gewesen, der für sie alle ein Gebet hätte sprechen können.
    Das Öl roch würzig und süß, nicht ganz passend für einen Scheiterhaufen, aber auch nicht für ein Parfüm. Es ließ sie an Blumen denken, die über einer Krypta blühten, irgendwo fern im Osten, wo die Menschen ihre Toten in Katakomben legten, statt ihnen das reinigende Feuer zu schenken. Da war etwas Widerwärtiges unter dem Duft, und dennoch schien es kein Widerspruch zu sein, sondern ein notwendiger Kontrapunkt. Odosse schauderte, zum Teil wegen der Kälte, und schloss Wistans winzige, steife Hand um das leere Fläschchen.
    Einst hatte sie eine Handvoll Pennys bezahlt und von Schönheit geträumt, damit Aubry die Chance bekam, ein großer Mann zu werden. Der wahre Preis dafür war höher. Viel höher. Das verstand sie jetzt.
    Immer noch schaudernd schaufelte Odosse Schnee über Wistans Leichnam, um ihn vor den Blicken anderer zu beschirmen. Sie schnitt einen Kerzenstummel ab, nicht größer als ihr Daumen, und stellte ihn in den Schneehügel. Er sollte das Kind in die immer goldenen Länder der Strahlenden geleiten.
    Bei ihrer Rückkehr verlor Brys kein einziges Wort über ihr Verschwinden. Er war damit beschäftigt gewesen, ihr Zelt auf der windabgewandten Seite eines dünn bewaldeten Hügels aufzustellen. In der Nähe fraß sein Pferd, das eine Decke wärmte, den letzten Rest ihres Hafers. Der Schnee war hier dünner; der größte Teil hatte sich auf der dem Wind zugewandten Seite des Hügels angesammelt.
    Zwischen den kleinen, verkrümmten Bäumen gab es nicht viel totes Holz, aber Odosse sammelte genug

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