Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
Vom Netzwerk:
gesehen oder sich vorgestellt hatte. Es waren zwei, dachte sie, aber in der Dunkelheit und dem Durcheinander war sie sich nicht einmal in diesem Punkt sicher. Sie hatten das Aussehen von Kreaturen, die einst menschlich gewesen, aber zu Ungeheuern geworden waren, wie es angeblich den Seelen von Sündern in Narsenghal geschah. Sie schienen größer zu sein als Männer und schneller. Ihre haarlose Haut war von dem gräulichen Weiß alten Marmors und genauso hart; ihre Münder waren grässliche Spalte, gesäumt von blutfleckigen Zähnen, viel zu lang, um wirklich zu sein.
    Brys war mitten zwischen ihnen, das Schwert gezückt und zum Kampf bereit, bevor Odosse verstand, was geschehen war. Er hatte keinen Schild; stattdessen zog er einen brennenden Ast aus dem Feuer, zwischen dessen verkohlten Zweigen Flammen wie ein rauchiges Netz zuckten, und wehrte damit eine der Bestien ab, während er auf die andere einschlug. Sein Umhang wirbelte um ihn herum, Schneefontänen stiegen um seine Füße auf, und das monströse Ding, das er attackierte, wich kreischend vor ihm zurück, einen langen Schnitt quer über der Brust. Odosse hatte das Zucken des Schwerts gar nicht mitbekommen.
    Das Innere der Kreatur war abgestorben und faserig, sämtliche Organe waren zu dicken Strängen zusammengewickelt; es sah aus wie ein widerlicher, rosiger Kokon. Blut floss keines. Es schien alles sehr schnell und zugleich sehr langsam zu geschehen, als würde sie sich an erstarrte Momente aus einem ansonsten verschwommenen Traum erinnern.
    »Lauf!«, rief Brys, während er weiter zum Angriff vorrückte.
    Wohin?, wollte Odosse zurückrufen, aber ihre Kehle war so zugeschnürt, dass sie kaum atmen, geschweige denn einen Laut herausbringen konnte. Aubry heulte laut genug für sie beide.
    Bei diesem Babygeschrei hoben die Ungeheuer den Kopf mit den milchigen Augen. Eines zischte etwas durch den verstümmelten Mund, und sie sprangen sie beide an, die Köpfe nickend in einer seltsam vogelähnlichen Bewegung. Sie umgingen Brys in einem großen Bogen, einer auf jeder Seite, und obwohl er auf den Verletzten mit Feuer und Stahl losging, wich das Geschöpf mit unmenschlicher Schnelligkeit aus. Das Schwert pfiff durch die Luft; der brennende Zweig verteilte zischende Glut über den Schnee.
    Im Näherkommen streckten die Bestien die Hände nach Aubry aus, und im flackernden Feuerschein sah Odosse die knochigen Finger in der Luft, Klauen, gekrümmte Krallen, die blutleere Furchen auf den Handgelenken zeigten, während sich hagere Fäuste um nichts schlossen.
    Sie kam taumelnd hoch und wich zurück, sodass das Feuer jetzt zwischen ihr und ihnen lag. Ihr Mund war vor Furcht wie ausgedörrt, und ihr Herz flatterte hektisch in ihrer Brust, ein kleiner Vogel, der verzweifelt zu fliehen versuchte. Sie hatte keine Waffe; sie hatte nicht einmal ein Messer.
    Die Ungeheuer gingen zu beiden Seiten um das Feuer herum, langsam und argwöhnisch, die zuckenden, klauengleichen Hände erhoben. Wann immer sie sich einem von ihnen zuwandte, fuhr es mit dem Kopf nach vorn wie eine angreifende Schlange und zischte, damit sie dem anderen in die Klauen sprang.
    Brys trat hinter die Kreatur auf ihrer rechten Seite, wobei er sich für einen so großen Mann außerordentlich leise bewegte – oder vielleicht lag es nur an Aubrys Schreien, dass sie ihn nicht hörte. Er hatte den brennenden Ast weggeworfen; sie hatte es nicht bemerkt. Als das Ungeheuer ein weiteres Mal zischte und den Kopf in Richtung Odosse stieß, sprang Brys los. Sein Schwert durchbohrte die Kreatur, fuhr mitten durch den Rücken und direkt durchs Herz. Sie sah die Spitze aus der Brust des Wesens treten, der Stahl hell und glänzend und ohne einen Tropfen Blut, der das Glänzen getrübt hätte.
    Sie waren bereits tot. Natürlich. Wie konnte Stahl etwas töten, das bereits tot war?
    Das verwundete Wesen kreischte und krümmte sich. Seine Stimme war ein dünnes, schrilles Heulen – fast zu hoch, um hörbar zu sein –, das ihr wie ein vibrierendes Messer durchs Trommelfell schnitt. Brys legte beide Hände an den Griff des Schwerts und drehte es grimmig, um das Loch zu vergrößern.
    Als das andere Ungeheuer sah, dass sein Gefährte verwundet war, sprang es auf Odosse zu. Sie bückte sich, riss mit der bloßen Hand den Kessel vom Feuer und schleuderte ihn unbeholfen der Kreatur an den Kopf. Das heiße Metall versengte ihr die Innenfläche der Hand, aber das kümmerte sie nicht, konnte sie nicht kümmern; der Schmerz war weit

Weitere Kostenlose Bücher