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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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begriffen hatte, dass er lachte; ob er sie auslachte oder sich selbst, konnte sie nicht sagen. »Allerdings. Und es wird schlimmer werden. Eigentlich wollte ich es unbedingt verhindern; die Berührung der ghaole überträgt Eisfieber. Aber ich musste den einen von dir heruntertreten, und dabei hat er mich gepackt … also hoffe ich, du bist bereit, dich neben deinem Baby auch um das Pferd zu kümmern, falls ich es nicht mehr kann.«
    »Es hat mich auch gekratzt«, erwiderte sie.
    »Dann hoffe ich, dass du länger durchhältst als ich, oder wir sind alle tot«, sagte er.
    Brys verlor noch vor Tagesanbruch das Bewusstsein.
    Er hatte sich an den Sattel gebunden, die Stricke, wo er es selbst konnte, um seinen Körper geschlungen und Odosse erklärt, wie sie an den Stellen befestigt werden mussten, an die er nicht herankam. Obenauf kam das Zelt. Es war nirgendwo sonst unterzubringen, und sie konnten kaum ihren einzigen Schutz zurücklassen, also befestigte sie das sperrige Gewirr aus nasser Leinwand und losen Pfählen auf dem Mann, wobei sie sich einzureden versuchte, dass es einen gewissen Wert als Schutz vor dem Wind habe.
    Dann ergriff sie die Zügel des namenlosen Pferds und führte es in die Nacht hinein. Nicht nach Süden, nicht mehr. Odosse konnte die Straße im Schnee nicht mehr erkennen, und eine Reise zu Karchels Turm war jetzt ein Ding der Unmöglichkeit. Auf keinen Fall konnten sie es bis nach Seewacht schaffen, bevor einen von ihnen das Eisfieber der Ghaole außer Gefecht setzte.
    Stattdessen wandte sie sich nach Osten. Nach Osten und nach Norden und wieder nach Osten, zurück in den bayarnischen Wald, auf einem Kurs, der sie nach Bullenmark bringen sollte.
    Odosse hatte die Burg selbst nie gesehen. Sie war niemals so tief nach Eichenharn vorgedrungen. Und sie war nicht blind gegen Brys’ Argwohn; es war möglich, sogar wahrscheinlich, dass der junge Lord von Bullenmark von dem Angriff gewusst hatte, bei dem die Bewohner ihres Dorfes und Wistans Eltern umgekommen waren. Er konnte durchaus mit den Dornen zusammenarbeiten. In diesem Fall brachte jeder Schritt zu seiner Burg sie der Gefahr näher. Das wusste sie.
    Aber sie wusste auch, dass in Bullenmark die Gesegnete Andalaya war und auf den Tod des alten Lords Ossaric wartete, und dass einzig die Gebete der Gesegneten das Eisfieber vielleicht daran hindern konnten, ihre Herzen zum Stillstand zu bringen. Ihre Hoffnung auf Überleben lag in dieser Burg. Und sie war erheblich näher als Karchels Turm.
    Eine Straße barg den gewissen Tod. Die andere barg die einzige Chance. Es war keine schwere Entscheidung.
    Stundenlang sprach sie mit Brys über bedeutungslose Dinge. Es war eigentlich kein Gespräch; sie wollte nur den Trost einer menschlichen Stimme in der Dunkelheit und das Wissen, dass er noch wach war, noch immer bei ihr, trotz des Eisfiebers. Odosse erzählte von ihrem Leben in Weidenfeld, wobei sie den großen, vergrabenen Schmerz ihrer Trauer streifte, ohne ihn zu berühren. Als sie alles erzählt hatte, was sie wusste, erzählte sie noch einmal die Geschichten von Sir Auberand und der Winterkönigin. Traurige Geschichten, aber tapfere, allesamt.
    Irgendwann zwischen Mitternacht und Tagesanbruch gab Brys keine Antwort mehr. Odosse verlangsamte ihren Schritt so weit, dass sie ihm die Finger aufs Handgelenk legen konnte, unter dem flatternden Gewirr des Zeltes, das sie über dem Mann festgebunden hatte. Seine Haut war wie Eis; der Herzschlag träge und schwach.
    Aber er war fühlbar, also ging sie weiter und achtete nicht auf die Taubheit, die sich von ihrem Kreuz aus in ihrem Körper ausbreitete. Und sie erzählte weiter ihre Geschichten, wobei sie nicht wusste, wem sie sie erzählte – sich selbst oder Aubry oder dem Pferd. Die Geschichten wurden zu einer Litanei in der Nacht, einer Möglichkeit für sie, ihre Schritte zu zählen und ein wenig Hoffnung aus den Legenden zu ziehen, da sie vergessen hatte, wie Hoffnung im Leben aussah.
    Beim ersten Anflug der Morgendämmerung erreichten sie die Ausläufer des bayarnischen Waldes. Vor sich sah Odosse das ersterbende Schimmern der Straße der Flusskönige. Bei Tagesanbruch waren sie bereits mitten zwischen den Bäumen, und die Hufe des Pferdes klangen laut auf dem uralten, schneebedeckten Stein der Straße.
    Noch immer sahen sie keine andere lebende Seele, und Odosse war so erschöpft, dass ihr zwischen den einzelnen Schritten alles vor den Augen verschwamm. Sie spürte ihre Beine nicht mehr, bloß eine

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