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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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für ein winziges Feuer, und sie hackte einige tief hängende Zweige ab, damit die Flamme auch richtig brannte. Sie arbeitete schnell, um die Zeit wettzumachen, die sie im Gebet verbracht hatte, und sobald das Feuer stark genug war, setzte sie die Bohnen auf. Dann holte sie einen Span aus dem Feuer, kehrte zurück und entzündete Wistans Kerze. Sie schirmte die winzige Flamme gegen den Wind ab, bis sie richtig brannte.
    Sie glaubte nicht, dass die Kerze die ganze Nacht brennen würde, wie es sich geziemt hätte. Der Wind würde sie ausblasen, schmelzender Schnee würde sie ertränken, oder ein umherstreifendes Raubtier würde sie umwerfen, während es Wistan ausgrub. Aber sie musste ein Symbol setzen.
    Als Brys herbeikam, war es völlig dunkel geworden. Er hatte seinen Bogen noch immer gespannt und legte sich das Schwert, das in seiner Scheide steckte, quer über den Schoß, während er darauf wartete, dass die Bohnen gar wurden.
    »Es gefällt mir nicht, wie diese Nacht sich anfühlt«, murmelte er.
    »Warum? Was ist los?«
    »Früher am Tag habe ich geglaubt, ich hätte etwas gesehen, das sich über die Hügel bewegt. Und uns folgt. Als ich noch einmal hinsah, war es fort, aber … vielleicht habe ich es mir nur eingebildet.« Brys zuckte die Achseln. Er klang nicht überzeugt, und er hielt eine Hand auf dem Griff der Waffe, während er mit seinen Blicken die Dunkelheit jenseits ihres Feuers erforschte.
    »Oh.« Odosse blickte auf das runde Gesicht ihres Sohnes hinab, das vom rötlichen Licht vergoldet wurde, und drückte ihn sich eng an die Brust. Sie holte tief Luft. Dies war ihr Sohn. Wenn er ein großer Mann werden sollte – wenn er mehr werden sollte als der Bastard eines Bäckermädchens –, brauchte er ihren Mut. Sie hatte für Wistan getan, was sie konnte. Es war Zeit für die Lebenden weiterzuziehen. Ohne Schuldgefühle, falls möglich. Und falls nicht, dann mit genug Kraft, ihrer Herr zu werden.
    »Brys«, sagte sie, »ich habe mich entschieden. Es war nicht Wistan, der gestern Nacht gestorben ist. Es war Aubry.«
    Er sah sie an und nickte. »Was hat dich dazu bewogen, deine Meinung zu ändern?«
    Odosse zuckte die Achseln. Sie hatte die Worte nicht, das auszudrücken, was sich in ihrem Herzen bewegt hatte. Sie wusste nur, dass sich etwas in ihrer Seele losgerissen hatte, als sie sich vorgebeugt und den Kerzenstummel entzündet hatte, der Wistan helfen sollte, seinen Weg über die Letzte Brücke zu finden.
    Wenn sie der Welt mitteilte, dass Wistan gestorben war, dann hätten diejenigen gesiegt, die ihn in der Kapelle töten wollten. Wer immer seine Eltern ermordet und ihr Dorf niedergemetzelt hatte, er hätte gesiegt. Der Gedanke entfachte Wut in ihr, aber nicht Trotz hatte ihre Meinung geändert.
    Es war Liebe und Schuldgefühl und Trauer, zu einem Knoten geschürzt, den sie nicht einmal annähernd lösen konnte.
    Es war ihre Schuld, dass er gestorben war. Sie konnte nicht so herzlos sein wie Brys. Vielleicht hätte Wistan überlebt, wenn sie so herzlos hätte sein können; dann wäre sie nicht davor zurückgeschreckt, um seinetwillen ein zukünftiges Kind herzugeben. Aber Liebe konnte ebenso eine Schwäche sein wie eine Stärke. In diesem Punkt hatte der Söldner recht. Liebe hatte ihr die Kraft verliehen, Wistan so weit zu tragen, und sie hatte sie zu sehr geschwächt, am Ende den Preis für sein Leben zu zahlen.
    Odosse wusste nicht, ob es Stärke oder Schwäche war, die sie jetzt bewegte. Aber sie wusste, dass es Liebe war: Zu Aubry und dem Leben, das er vielleicht führen könnte; zu Wistan und dem Leben, das er verloren hatte. Sie hoffte, dass sie ihren Sohn zu einem Mann erziehen könnte, der Wistan Ehre machen würde. Sie musste es zumindest versuchen. Das waren sie beide ihm schuldig.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie ihm.
    Brys zog eine Augenbraue hoch, aber was er als Nächstes gesagt hätte, sollte sie niemals erfahren. Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und machte einen halben Schritt auf die Dunkelheit zu, und in diesem Augenblick explodierte die Nacht um sie herum.
    Es geschah zu schnell, als dass Odosse irgendetwas hätte beobachten können. Im einen Moment saß sie am Feuer und wiegte in Frieden ihren Sohn; im nächsten wurden sie von Kreaturen aus der Hölle überfallen. Aubry schrie, und Brys fluchte, während er sein Schwert herausriss, und sie war von zu großer Panik erfüllt und saß bloß stocksteif da.
    Ihre Angreifer waren anders als alles, was sie je

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