Der Krieger und der Prinz
–, es muss bekannt gemacht werden, wenn ich es tue.«
»Wir erwarten nichts Geringeres«, erwiderte Lord Eduin.
Kelland neigte den Kopf. »Dann lautet unsere Antwort: Ja.«
4
Sie nannten ihn Leferic, die Maus, Leferic Schlappschwanz, Leferic Bücherwurm. Der netteste ihrer Namen für ihn, den er auch als seinen eigenen angenommen hatte, war Leferic, der Gelehrte.
Was unter den kriegsbesessenen Eichenharnern allerdings kein Kompliment war.
Leferic dachte darüber nach, als er sich aus dem schmalen Fenster seines Türmchens beugte und beobachtete, wie die Burgwachen den Sarg seines Bruders durch den Hof zu dem Schrein im Südturm trugen. Die Aufgabe erforderte weniger Männer, als er erwartet hatte: zwei für den Sarg seines Bruders, zwei für den seiner Gemahlin und nur einen für den kleinen, kunstvollen Sarg, der für seinen Neffen Wistan stand.
Natürlich lagen keine Leichen darin. Dieser Umstand erleichterte die Last erheblich.
Leferic erwartete, dass irgendwann ein Bote mit den gesäuberten Knochen seiner Verwandten eintreffen würde. Lord Eduin Inguilar galt nicht als absoluter Barbar, und die Toten waren von hoher Geburt, sodass wahrscheinlich in ein oder zwei Monaten ein durchreisender Händler oder Würdenträger, der auf dem Weg nach Süden, nach Seewacht, war oder nach Osten, nach Calantyr, die schauerliche Gabe erhalten würde, um sie unterwegs in Bullenmark abzuliefern. Es würde keiner von Lord Inguilars eigenen Männern sein, der Galefrids Knochen heimbrachte, es sei denn, Eduin wollte den Mann nicht zurückhaben.
In der Zwischenzeit galt es, Zeremonien abzuhalten und Plattitüden zu sprechen, und da Leferics edler Vater sich unmittelbar nach dem Eintreffen der Nachricht vom Tod seines älteren Sohns zu Bett gelegt hatte, fiel diese Bürde jetzt ihm zu, Leferic, der Maus.
Er wusste, dass die Männer seines Vaters ihn nicht liebten. Sie hatten seinen älteren Bruder bei weitem vorgezogen, den Mann, der mit der Leichtigkeit eines Zentauren reiten und in einem Kampf zwei beliebige Männer aus ihren Reihen gleichzeitig bezwingen konnte. Galefrids Entscheidung für eine fromme Gemahlin aus Seewacht war ihnen seltsam vorgekommen – wie auch anderswo in Eichenharn ging es bei Eheschließungen um Allianzen zwischen Häusern, nicht um Herzensdinge –, aber sie war reich und hübsch gewesen, und vor allem hatte sie ihm binnen eines Jahres nach der Heirat einen starken Sohn geboren. Daher waren sie bereit, Galefrids ausländische Ehefrau um seinetwillen zu akzeptieren.
Dass Galefrid ein verschwenderischer Narr gewesen war, der Geld wie Weizenkörner an Hühner weggeworfen hatte, schien die Lehnsmänner von Bullenmark nicht weiter zu stören. Dass er gleichermaßen kein Geschick in diplomatischen Angelegenheiten und kein Verständnis für Krieg gehabt hatte, war ebenfalls kaum von Belang. Es genügte, dass Galefrid in der großen Halle die ganze Nacht hindurch mit ihnen trinken und dann am Morgen auf die Jagd gehen und immer noch sein Ziel treffen konnte; im Verständnis seiner Männer wurde von einem Lord nicht mehr verlangt.
Leferic war da anderer Meinung. Das war der Grund, weshalb er seinen Bruder hatte töten lassen.
Während er zusah, wie die Särge in der dunklen Kapellentür verschwanden, fragte er sich, ob er deswegen Schuldgefühle haben sollte. Ja, leichte Schuldgefühle verspürte er, wegen der Ehefrau und des Kindes, aber selbst diese waren vage, eher wie das Bedauern über den Tod eines Fremden in einem fernen Land. Und genau das waren sie gewesen, jetzt, da er darüber nachdachte: Menschen, die er kaum kannte und die in einem anderen Land gestorben waren. Nicht von seiner eigenen Hand. Er hatte den Befehl gegeben, und damit war die Angelegenheit erledigt gewesen.
Für seinen Bruder empfand er nichts. Vielleicht war er noch abgestumpft, weil die Nachricht gerade erst eingetroffen war. Oder vielleicht gab es einfach nichts zu empfinden.
Ein interessantes Problem. Er würde sich später damit beschäftigen.
Leferic zog seinen gegen die spätherbstliche Kühle pelzgefütterten Umhang über und schritt hinter dem Sarg die Treppe zur Kapelle hinunter. Durch das Kohlschwarz und das Aschgrau der Trauerfarben wirkte er blass, aber schließlich sah er immer so aus.
Wachen und Diener wandten das Gesicht ab, als er vorbeiging. Leferic war leicht überrascht, dass viele von ihnen gerötete Augen und feuchte Nasen hatten. Hatten sie seinen Bruder so sehr geliebt? Oder hatten sie einfach Angst,
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