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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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aber diese Art des Reisens hatte Odosse erschöpft, und sie hatte sich einsam gefühlt. Sie war froh, als die Stadt in Sicht kam, auch wenn sie zu Eichenharn gehörte.
    Die Brücken von Tarnebrück waren sehr alt, aber die Stadt selbst war es nicht. Das Reich Rhaelyand hatte diese Brücken als Verbindung zwischen Langmyr und Eichenharn erbaut; damals waren die beiden Königreiche Provinzen unter derselben Krone und demselben Sonnenbanner gewesen. In jenen Tagen, so stellte Odosse es sich vor, hatte es wahrscheinlich auf beiden Seiten der Türme Marktstädte gegeben, friedlich und wohlhabend.
    Heute gab es nur noch eine einzige Stadt, auf der Eichenharner Seite des Flusses, und sie duckte sich hinter ihre Mauern und ihre Gräben, die mit spitzen Pfählen gespickt waren, und hielt sich bereit für einen Feind, der jeden Augenblick kommen konnte. Die langmyrnische Seite des Flusses war in einem breiten Streifen gegenüber der Stadt gerodet worden. Hinter den Stümpfen, die das Unkraut überwuchert hatte, erhob sich ungebrochen der Wald um das weiße Band, die Straße der Flusskönige.
    Es war das Werk der Eichenharner. Sie schickten regelmäßig Plündertrupps aus, die in einem Umkreis von einer Meile von Tarnebrück jedes Anzeichen einer langmyrnischen Besiedlung zerstören sollten. Kein einziger Köhler durfte so nah beim Fluss brennen. Wenn Langmyr versuchen sollte, die Furt zurückzuerobern, würde es eine dichte Barriere unbesiedelten Waldes überwinden, ein rund um das Wasser völlig kahl geschlagenes Schlachtfeld überqueren und die Brücken und Türme selbst erstürmen müssen. Es gab keine Städte in der Nähe, die als Vorratslager dienen konnten, nur winzige Dörfer, die nicht einmal annähernd in der Lage waren, eine Armee zu ernähren oder ins Feld zu schicken. Dörfer wie ihr eigenes. Schutzlos.
    Die nächste langmyrnische Burg – abgesehen von der klapprigen Ruine der Witwenburg – war Distelstein, dreißig oder vierzig Meilen weiter westlich. Alles dazwischen war feindselig oder hilflos. Odosse war sich noch nie im Leben so von allem abgeschnitten vorgekommen.
    Wimpel, die einen schwarzen Bullen auf einem roten Feld zeigten, flatterten an den Toren der Stadt und dem hohen Turm in ihrer Mitte. Das Wappen von Bullenmark, das wusste Odosse; in diesem Teil der Welt war der schwarze Bulle so allgegenwärtig, wie es Lord Eduins Ring aus Disteln in ihrem war. Sie befand sich auf feindlichem Gebiet. Beim Gedanken daran drückte sie Aubry noch fester an sich. Ihr Sohn lag in ihren Armen, wie er es den größten Teil des Morgens getan hatte, während Wistan in der Trage auf ihrem Rücken steckte.
    Am Tor zog Brys etwas von einem Lederriemen um seinen Hals und zeigte es dem Wachposten, dann schob er es wieder unter sein Hemd. Sie wechselten einige Worte, zu leise, als dass Odosse ihr Gespräch hätte verfolgen können, und der Posten ließ sie ein. Sie glaubte, einen Anflug von Respekt auf dem Gesicht des jungen Wachmanns zu sehen oder zumindest etwas mehr als die gelangweilte Verdrossenheit, die zuvor auf seinen Zügen gelegen hatte.
    »Was hast du ihm gezeigt?«, fragte sie Brys im Flüsterton, aber er antwortete nicht.
    Er führte sie zu einem Gasthaus in der Nähe der Nordmauer der Stadt. Ein ramponiertes Holzschild über der Tür zeigte ein zerbrochenes Bullenhorn mit einer Aufschrift darunter. Odosse konnte nicht lesen, und die Schrift war so verwittert, dass sie den Namen wahrscheinlich ohnehin nicht hätte entziffern können. Aber das Haus sah sauber aus, und bei den Gerüchen, die aus der Küche herbeiwehten, knurrte ihr der Magen. Sie hatte seit ihrem Aufbruch aus Weidenfeld keine richtige Mahlzeit mehr gehabt.
    Das Gasthaus war dunkel und bereits halb voll, obwohl es noch früh am Nachmittag war. Sonnenembleme aus Messing, deren Strahlen vom Rauch dunkel gefleckt waren, hingen von den Säulen herab und baumelten über den Fenstern, um die Gunst der Strahlenden zu erflehen. Feuer loderten in zwei Kaminen und strahlten gerade genug Wärme ab, dass sie die Kühle der spätherbstlichen Luft etwas abmilderten. Über einem der Feuer dampfte ein Gemeinschaftskessel mit Bitterkiefertee, der den Raum mit einer scharfen Würze erfüllte und die weniger angenehmen Gerüche von alten Binsen und harten Reisern überdeckte. Einer der Gäste, ein ziemlich kleiner Bursche mit stoischem Gesicht, der den schlichten braunen Wollmantel und die Stulpenstiefel eines Mannes aus Seewacht trug, schöpfte Tee in einen zerbeulten

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