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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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pfiff schrill und rüttelte an den Fensterscheiben. Er hörte es kaum, so versunken war er in die Schriften dieses gewitzten alten Höflings.
    Irgendwann stand die Flamme in seiner Laterne kurz vor dem Erlöschen. Leferic rieb sich die Augen und starrte auf die Schwärze an seinen Fenstern. Die Nacht war hereingebrochen. Er hatte es nicht bemerkt. Der Morgen wartete und mit ihm das Versprechen auf einen weiteren Tag auf dem unbequemen Stuhl.

5
    Sieben Tage waren vergangen, seitdem sie aus Weidenfeld aufgebrochen war, da bekam Odosse zum ersten Mal den Krieg zu Gesicht.
    Im Grunde war es eine Kleinigkeit: das ausgebrannte Skelett der Hütte eines Kleinbauern. Die geschwärzten Balken standen auf einer winzigen Lichtung, wo tote Blätter einen Hauch von Gold über einen Ring aus Asche warfen. Die Zweige der nahen Bäume waren versengt; das Feuer hatte heiß und hoch gebrannt, bevor es erloschen war.
    Es gab keine Leichen; zumindest entdeckten sie keine. Ein niedriger Kreis aus Steinen mit einer hölzernen Abdeckung zeigte den Brunnen des Bauern am Grund einer nahegelegenen Senke an. Als Odosse in der Hoffnung, ihre Wasserschläuche füllen zu können, die Abdeckung anhob, roch sie Aas, aber es war zu dunkel, um zu erkennen, was da im Brunnen lag und verweste.
    Ein magerer, schwarzweißer Hund strich um die verkohlten Reste des Hauses und knurrte sie abwechselnd an oder wich vor ihnen zurück. Zwischen seinen vorspringenden Rippen sah Odosse den abgenagten Schaft eines Pfeils herausragen. Das Fell des Hundes war rund um die Wunde tränenförmig braun verkrustet.
    »Solltest du ihn nicht erschießen?«, fragte sie Brys, als sie den Hund das erste Mal sah. Sie hatte Wistan auf dem Rücken und Aubry in den Armen, und das Knurren des Tieres machte ihr Angst. »Er könnte die Babys angreifen. Das arme Ding ist halb verhungert.«
    Brys richtete sich lange genug auf, um die Achseln zu zucken, dann begab er sich wieder ans Werk, die herabgefallenen Balken der Hütte für ihr Feuer in kleinere Stücke zu hacken. Seine Hände waren bis zu den Ellbogen mit Ruß verschmiert, aber er hatte in der Asche nichts anderes gefunden, was sich zu retten lohnte. »Wenn er so lange durchgehalten hat, wird er vielleicht überleben. Das gefällt mir an dem kleinen Bastard. Ich sehe keinen Grund, ihn zu erschießen, solange er uns keinen Ärger macht.«
    »Es ist ja gut und schön, dass du ihn magst, aber ich werde keinen hungrigen Hund in der Nähe meines Sohnes dulden«, sagte Odosse scharf und trat von dem Tier zurück. Es war das erste Mal, dass sie Brys gegenüber die Stimme erhoben hatte – das erste Mal, dass sie ihm überhaupt widersprochen hatte und das noch dazu wütend –, aber es war auch das erste Mal, dass er vorgeschlagen hatte, nichts gegen eine mögliche Gefahr für Aubry oder Wistan zu unternehmen.
    Brys schien das ebenfalls zu begreifen. Er bedachte sie mit einem sarkastischen Lächeln und einer spöttischen knappen Verneigung. Dann legte er das Beil beiseite, ging zu seinen Satteltaschen und durchwühlte sie, bis er einen Brocken kalten Wildbrets zutage förderte, der von ihrer Mahlzeit am vergangenen Abend übrig geblieben war. Er warf dem Hund das Fleisch hin. Der schnappte es aus der Luft, und Brys schleuderte einen zweiten Brocken hinterher. Während der Hund fraß, wischte er sich die Hände an den Oberschenkeln und hackte von Neuem Holz. »So. Jetzt ist er nicht mehr hungrig.«
    »Danke«, erwiderte Odosse, obwohl sie das ausgezehrte Tier nicht aus den Augen ließ und ihren Griff, mit dem sie Aubry festhielt, nicht einen Herzschlag lang lockerte. Der Hund war schon arg mager. Zwei Brocken reichten vielleicht nicht aus. Zwei Babys dagegen …
    »Wo sind seine Besitzer?«, fragte sie, um sich von diesem Gedanken abzulenken.
    »Höchstwahrscheinlich tot. Vielleicht in diesem Brunnen. Nicht viele Menschen würden den Hund eines Mannes anschießen und sein Haus niederbrennen, wenn sie auf der Suche nach Freunden wären.« Er wischte Asche von der Klinge des Beils. »Diese Balken sind kalt. Die Blätter in der Asche sind von Regen durchweicht, wahrscheinlich von dem gleichen Nieselregen, der uns gestern und vorgestern auf der Straße erwischt hat. Dieser Brand liegt Tage zurück. Falls jemand davongelaufen ist, der hier lebte, so würde ich hoffen, dass er inzwischen zumindest zurückgekehrt wäre und den Hund geholt hätte.«
    »Warum?«
    »Hunde geben im Allgemeinen bessere Freunde ab als Menschen.« Brys schob sich das

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