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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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von Wistan behaupten können. Seine Lippen waren trocken, die Haut unter seinen Augen eingefallen wie die eines alten Mannes. Die weiche Stelle auf seinem Kopf war ebenfalls eingefallen; sie sah, dass sich dort schwache Schatten sammelten.
    »In der Stadt. Ich brauchte ein neues Paar Stiefel.«
    »Hast du irgendwas rausgefunden?«
    »Nicht viel. Niemand weiß, wer für die Morde in Weidenfeld verantwortlich ist, obwohl die meisten so viele Theorien haben wie Läuse auf ihrem Kopf. Und diese Theorien sind auch ungefähr genauso viel wert.«
    »Was ist mit der Gesegneten? Hast du Hilfe für Wistan gefunden?«
    Ächzend schnürte Brys seine neuen Stiefel zu. Nachdem er aufgestanden war, stampfte er mit den Füßen auf. Die Stiefel waren besser als die alten, mit einem Band aus verziertem Leder an den oberen Rändern, das angesichts der Schlichtheit seiner übrigen Kleidung seltsam wirkte. »Die Gesegnete Andalaya hat Tarnebrück verlassen. Sie ist nach Bullenmark gegangen und will sich dort um den alten Ossaric kümmern. Wie es heißt, liegt er auf dem Totenbett, daher wollen sie wohl sehen, ob die Gesegnete ihn retten kann. Niemand weiß, wann sie zurückkehrt. Ich bezweifele allerdings, dass selbst Celestias Gesegnete ein gramgebrochenes Herz heilen kann. Wenn es ihm also nicht bald besser geht oder er stirbt, könnte sie eine ganze Weile weg sein, wegen nichts und wieder nichts.«
    »Was tun wir dann?«
    »Du kannst tun, was dir gefällt. Handle dir bloß keine Schwierigkeiten ein.« Er streifte seinen von der Reise fleckigen grünen Umhang über und befestigte ihn mit einer Kupferbrosche, die Odosse zuvor noch nicht gesehen hatte. Edelsteine glitzerten auf der Brosche, die vom gleichen hellen Smaragdgrün waren wie seine Augen. »Ich werde feststellen, ob es in Mistress Merrygolds Hurenhaus noch so warm ist, wie ich es in Erinnerung habe.«
    Am Ende verließ Odosse das Zimmer überhaupt nicht. Sie hätte es nicht ertragen, noch einmal so etwas wie das Gespräch der Gerber mitzuerleben. Stattdessen ließ sie sich von den Bediensteten des Gasthauses Fleisch und frisches Brot nach oben bringen, dann verbrachte sie den Abend damit, den Säuglingen Geschichten aus ihrer eigenen Kindheit zu erzählen. Aubry schienen die Geschichten über Sir Auberrand und die Winterkönigin am besten zu gefallen, vielleicht weil der Name des Ritters so ähnlich klang wie sein eigener. Das waren auch ihre Lieblingsgeschichten; sie hatte ihren Sohn nach dem Ritter benannt. Als sie ihn so lächeln sah, nahm Odosse sich im Stillen vor, dass er eines Tages die Chance bekommen sollte, eine Größe zu erreichen, die seinem Namen auch entsprach.
    Zu guter Letzt ließ Aubry sich wieder in einen sanften Schlummer lullen, und Odosse hatte nichts mehr zu tun. Sie trat ans Fenster und hoffte, das Leben der Stadt unten beobachten zu können, aber ihr Fenster ging zu den Ställen hinaus, und es gab nichts zu sehen.
    Dann fiel ihr Blick auf Brys Satteltaschen, die er sorglos neben seine Pritsche geworfen hatte. Sie wusste so wenig von ihrem Gefährten. Unterwegs hatte er kaum mit ihr gesprochen. Sie waren etliche Tage gemeinsam gereist, und trotzdem wusste sie am Ende kaum mehr, als sie in jener ersten Nacht in dem zerborstenen Turm erfahren hatte.
    Es war nicht Odosses Art, neugierig zu sein … Aber, so sagte sie sich, dieser beinahe fremde Mann hielt ihr Leben und das Leben Aubrys in Händen, und sie war es ihrem Sohn schuldig, mehr über den Mann in Erfahrung zu bringen, dem sie sich anvertraut hatte. Mit diesem Gedanken und einem wachsamen Blick in Richtung Tür öffnete sie die erste seiner Taschen.
    Es war nicht viel darin. Schmutzige Kleider, Socken zum Wechseln, ein Würfelbecher. Ein kleines, in Leder gebundenes Buch. In den Deckel war eine Flammensonne eingeschnitten, also war es wohl ein Gebetbuch. Messer und ein Wetzstahl. Ein Ballen zähen Wachsgarns, in dem zwei Nadeln steckten.
    In der zweiten Tasche fand sie ähnliche Dinge. Und eingewickelt in ein zerrissenes Hemd entdeckte sie einen kleinen Beutel aus roter Seide, exquisit bestickt mit goldenen und ebenholzschwarzen Reben. Die Stickerei war fleckig und ausgefranst, aber die Qualität des Zwirns schimmerte noch immer durch, und die Feinheit der Stiche ließ auf die Hand eines Meisters schließen. Dieser Beutel, dachte Odosse, musste von einer hochgeborenen Dame gestickt worden sein. Wer sonst wäre zu so etwas fähig?
    In dem Beutel befand sich ein Medaillon aus dunkelblauem Email mit

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