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Der Krieger und der Prinz

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Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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waren – glaubten, ein Voras Lur spuke auf den Flüssen und über den eingefallenen Massengräbern in der Nähe. Der einheimischen Legende zufolge war die Kreatur eine Art untoter Seelenräuber; sie glaubten, die Dornen hätten sie heraufbeschworen und entfesselt, damit sie ihnen auflauerte. Daher hatten sie die zerschundenen Überreste der Schwarzhornkompanie angeheuert, um damit fertigzuwerden.
    Brys hatte kein großes Interesse daran gehabt, sich einem weiteren der Ungeheuer der Dornen zu stellen, aber er hatte das Geld gebraucht, und er war sich ziemlich sicher gewesen, dass es den Voras Lur in Wirklichkeit nicht gab. Er hatte bei Thelyandfurt nichts Derartiges gesehen, und keiner der anderen Soldaten, mit denen er gesprochen hatte, hatte von einer solchen Kreatur gehört; daher hatte er vermutet, dass sie nicht real war und die Dorfbewohner einfach von wilden Hunden oder Wölfen verängstigt wurden, die kühn geworden waren, nachdem sie die halbtoten Nachzügler der Armeen gefressen hatten.
    Er hatte sich geirrt. Der Voras Lur existierte tatsächlich, und die Dornen hatten ihn erschaffen. Er war jedoch kein untotes Ungeheuer. Es war Veladi gewesen, die gerade eben dem Turm der Dornen entkommen war.
    Sie hatte bei Thelyandfurt gekämpft, ebenso wie er, und auch in ihr hatte das Gemetzel etwas zerbrochen. Veladi war im Schutz des Chaos geflohen und hatte das Gesicht eines Toten gestohlen, um sich für ihresgleichen unkenntlich zu machen. Sie hatte keinen Plan gehabt, und sie hatte nicht viel zu bieten gehabt außer ihrer Entschlossenheit, ihrer Schläue und den Ansätzen von Magie, die eine neue Göttin ihr gewährt hatte.
    Die Spinne hatte nicht lange gebraucht, bis sie begriffen hatte, dass Veladi überlebt hatte, und sie schickte die Dornen sofort hinter ihrer abtrünnigen Schülerin her. Aber Brys hatte sie zuerst gefunden.
    Er fragte sich, wie so häufig in den Jahren seither, warum er Veladi nicht getötet hatte, als sich ihm Gelegenheit dazu bot. Anfangs hatte er es vorgehabt. Dass sie abtrünnig geworden war, hatte das Ausmaß ihrer Sünden nicht verringert oder dazu geführt, dass sie nicht mehr so rasch damit bei der Hand war; Veladi war im Turm der Dornen eine kaltblütige Mörderin gewesen und nach ihrer Flucht aus dem Turm eine kaltblütige Mörderin geblieben. Sie hatte lediglich ihre Loyalität von einer dunklen Göttin auf eine andere übertragen. Brys machte sich in keinem dieser Punkte irgendwelche Illusionen. Trotz all der Morde, die er begangen hatte, war er im Vergleich zu ihr so heilig wie ein Gesegneter.
    Und doch hatte er ihr Leben nicht nur verschont, sondern es ihr sogar zweimal gerettet. Als dann klar wurde, dass sie in Asenfall nicht mehr sicher wären, hatte er sie in Merrygolds Haus geschmuggelt. Die Kurtisane hatte sie sicher nach Calantyr gebracht, wo die Spinne sie nicht erreichen konnte und Veladi frei mit ihrem eigenen Gesicht leben konnte. Wahrscheinlich tötete sie dort noch immer Menschen. In einer so großen Stadt wie Aluvair oder Cailan würden ihr die Opfer niemals ausgehen.
    Warum also hatte er es getan?
    Aus zwei Gründen. Vielleicht aus dreien. Erstens, weil seine Entscheidung, Veladi am Leben zu lassen, geradeso gut war, als ob er der Spinne ins Auge gespuckt hätte; zweitens, weil sie eine Kämpferin und Überlebenskünstlerin war und Brys das respektierte. Drittens, weil sie ihn faszinierte.
    Veladi wusste mehr über die Dornen und das innere Geschehen von Ang’arta als irgendein lebendes Wesen außerhalb des Turms. Als er das erste Mal mit ihr sprach, hatte Brys die Ungeheuerlichkeit ihres Wissens ermessen können und begriffen, warum die Spinne so dringend ihren Tod wollte. Es wäre verbrecherisch und dumm gewesen, diese Fülle an Informationen zu vernichten. Wie dem auch sein mochte, er fand Gefallen daran, Ang’arta zu trotzen. Das war auch zum Teil der Grund, warum er Wistan jetzt am Leben erhielt. Dass die Baoziten jemanden tot sehen wollten, war für Brys Grund genug, sich ihnen in den Weg zu stellen.
    Vielleicht war das ein Fehler, aber das Leben war voller Fehler, und es hatte keinen Sinn, sie alle zu bereuen. Sie zu überleben reichte völlig aus.
    Die letzten Messer waren hinreichend geschärft, um die Zunge eines Maikäfers zu spalten. Brys steckte sie weg und wartete in der Dunkelheit darauf, dass der Verräter herauskäme. Er hatte keinen Zweifel daran, dass der Mann tatsächlich herauskommen würde. Wie sehr der Mann sich heute Nacht auch betrank,

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