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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Tag brauchten. Am Fuß der Fälle, als die letzte Ausrüstung sicher den Boden erreicht hatte, brach ein Streit aus.
    Vanderbilt konfrontierte Willems mit seinem Verdacht, er habe Druyts gestoßen oder seinen Sturz billigend in Kauf genommen. Willems tat diesen Verdacht in seiner üblichen respektlosen Weise ab, denn er wusste, Lakerveld hielt ihm die Treue, und den milchgesichtigen Fleerackers wird er nicht als ernst zu nehmenden Gegner angesehen haben. Er stellte sich gegen seinen vorgesetzten Offizier, vielleicht griff er gar zur Waffe – und Vanderbilt erschoss seine eigenen Männer und begrub sie mit Fleerackers Hilfe unter der Kiefer, die damals noch ein junger Baum war.
    Es erfüllt mich nicht mit Stolz, diesen Verdacht niederzuschreiben; dennoch glaube ich, die außergewöhnliche Situation, in der sich die Männer befanden, rechtfertigte Vanderbilts Entscheidung. Willems war zum Risiko für die gesamte Expedition geworden, und Fähnrich Lakerveld hatte seinem Major den Gehorsam verweigert.
    Ich bete, dass ich nicht vor der gleichen Entscheidung stehen werde.
    1. November
    Wie soll ich die Wunder und Schrecken beschreiben, die dieser Ort für uns bereithält, und die Sorgen und Nöte, die mich quälen, nun, da wir das Ziel – das Ziel! – unserer Reise endlich erreicht haben? Wohlan, ich will mein Bestes geben:
    Wir entdeckten diesen Nachmittag den Einlass in ein kleines Tal, das von den höchsten Gipfeln des Gebirges gesäumt wird. Der Eindruck war der einer abgeschiedenen, verborgenen Welt, die nur von einigen Vögeln und einer bestimmten Sorte Steinböcke bewohnt wird. Immer enger rückten die Berge um uns zusammen und nahmen uns das Licht, die Bäume wuchsen hoch und kahl, und über allem lag die Verschwiegenheit des Alters, die Stille eines lange nicht geöffneten Hauses. Manchmal, wenn ein Stein sich von den Hängen löste oder ein Vogel in den Wipfeln rief, war es, als suche der Laut der ehrwürdigen Andacht zu entkommen, und das Echo lief an den Hängen entlang wie ein Verräter, der im Zickzack dem Musketenfeuer zu entgehen hofft, bis es verebbte; starb; zur Warnung, dass niemandem ein Entkommen gestattet sei. Dann führte der Pfad eine Weile bergab, und schließlich, am Ende des Tals, in einem tiefen, dunklen Kessel, fanden wir die Stadt.
    Ihre Ausdehnung ist zwar nicht so eindrucksvoll wie die der alten Hauptstadt, in der wir zu Beginn unserer Reise campierten. Doch wie um ihres unzweifelhaften Alters zu spotten, ist sie beinahe unberührt; hier und da ist ein Haus überwuchert, ein Dach eingestürzt, oder die Wurzeln eines Baums haben ein Loch in eine Wand gerissen. Dennoch könnte man auf den ersten Blick meinen, die Stadt sei erst vor wenigen Monaten verlassen worden.
    Ein erdrückender Eindruck der Fremdartigkeit liegt über allen Gebäuden. Dem Buddhismus verdanken die Völker des fernen Orients das wenige, was sie an Kultur besitzen; doch an diesem entrückten Ort hat man seine Lehren nie vernommen. Die lehmverputzten Häuser wirken barbarisch, wie aus einem vorigen Jahrtausend. Dazwischen liegen primitive Gärten, aber keine Ställe, so dass es sich bei den Bewohnern der Stadt um wilde Jäger gehandelt haben muss. Die Tempel sind grobschlächtige Anhäufungen kolossaler Quader, die sich nach oben hin in der Art von Stufenpyramiden verjüngen, aber keinen uns geläufigen ästhetischen Maßstäben gehorchen. Ihr Grundriss ist eher oval als quadratisch, ihre Wände und Dächer eher gewölbt als von klaren Kanten bestimmt, und manchmal sind sie mit den Flanken ihrer Nachbargebäuden verwachsen, als habe man einfach immer mehr Steine aufgetürmt und zu spät bemerkt, dass der Platz dafür fehlt. Die gezackte Silhouette dieser Kuppeln erinnert mich an die sagenhaften Tempel des alten Kambodschas, auch wenn sie nicht halb so kunstfertig gestaltet sind, wie es bei diesen der Legende nach der Fall sein soll und mich ihr Anblick eher mit Schaudern als mit Ehrfurcht erfüllt. Dunkle Flecken auf den Steinen künden davon, wie die Menschen sie zum Dienst an ihren dunklen Göttern im Blut der Opfertiere tränkten, und Flechten und Pilze wuchern an den Wänden wie Tang und Muscheln an einem Schiffsrumpf.
    Wir teilten uns auf, die Waffen im Anschlag, um diesen unheimlichen Ort zu erkunden. Doch wenn wir uns vor etwas zu fürchten hatten, dann nicht vor lebenden Menschen, wie wir bald erkannten!
    Wir passierten eine Reihe gedrungener Bauten und gelangten auf den zentralen Platz der Siedlung, jenseits

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