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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Kinder, habe sich auf dem zentralen Platz eingefunden – dort, wo wir sie heute noch liegen sahen – und in keiner Weise auf die Ankunft der Europäer reagiert, ebenso wenig, wie Schlafwandler ihr Publikum zur Kenntnis nehmen. Daraufhin schritten die Priester gewissenhaft die Reihen ab und schnitten einem nach dem anderen die Kehle durch. Die Opfer setzten sich nicht zur Wehr, glaubten sie doch, ihr Tod diene dem Dienst an ihren gierigen Göttern. Die Niederländer aber waren so entsetzt, dass sie nach nur kurzem Zögern das Feuer auf die Priesterschaft eröffneten, die sich bald in die Sicherheit ihres Tempels flüchtete.
    Doch wie viel schauderhafter muss es für Vanderbilt und seine Leute gewesen sein, zu sehen, dass ihre Bemühungen ohne Erfolg blieben! Denn es erhob sich großes Wehklagen angesichts der getöteten Priester, und einige der Männer rappelten sich auf – nicht, um die Niederländer anzugreifen, sondern um den Platz der Priester einzunehmen. Sie ergriffen die fallengelassenen Dolche und begannen, das Gemetzel an ihren eigenen Familien fortzusetzen. In ihrem Schrecken blieb den Niederländern nichts übrig, als auch diese Mörder zu richten, und erneut erhoben sich neue Fanatiker aus den Reihen, um an die Stelle der Gefallenen zu treten, und so ging es weiter und immer weiter, bis niemand mehr übrigblieb.
    Dann verfolgten sie die geflohenen Priester ins Innere des Tempels.
    Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Ich habe das Innere des Tempels gesehen.
    Das Allerheiligste ist ein tief in den Berg getriebener Keller hinter einem starken, zweiflügligen Bronzetor, das zu schwer für einen einzelnen Mann oder selbst mehrere Männer ist und nur durch ein großes Rad in der Wand bewegt werden kann. Decke, Wände und Böden der Halle, ja selbst die gedrungenen Säulen in ihrer Mitte sind komplett mit Bronze ausgekleidet, und der schwere Kupfergeschmack in der Luft nahm uns fast den Atem, als wir sie betraten. Das Metall hat lange seinen Glanz verloren und einen fahlen Türkiston angenommen. Seltsame Gravuren überziehen den Boden wie Flussläufe eine Landkarte, und in regelmäßigen Abständen recken sich groteske Streben, Rippen gleich, die Wände empor und vereinigen sich im Zenit des weiten Gewölbes, so dass wir meinten, ein riesenhafter Walfisch habe uns verschlungen, und wir studierten im Schein des brennenden Öls die pockennarbige Innenseite seines Magens.
    Wir umrundeten die Säulen und gelangten in den hinteren Teil der Halle, den wir von einer schweren, klebrigen Rußschicht überzogen fanden. Ich fragte mich, was dieses Feuer ausgelöst haben mochte. Meine Neugier wurde bald gestillt: Am Kopf der Halle, unter einer hohen Kuppel, stapelte sich ein Berg verkohlter Knochen, ein menschlicher Scheiterhaufen.
    Wir hatten die Priester gefunden.
    Unmöglich zu sagen, wie viele es gewesen waren, offenkundig aber genug, dass ihre brennenden Leiber diesen Teil des Heiligtums in einen Schmelzofen verwandelt hatten. Die Kuppel über ihnen war unter der Hitze geplatzt. Teile der Kuppel schienen ursprünglich mit einer glasartigen Substanz gefüllt gewesen zu sein, aber es war kaum etwas davon geblieben bis auf einige dicke, erstarrte Tropfen, die an den verkrümmten Trägern wie Tautropfen in einem Spinnennetz klebten. Jenseits des geschmolzenen Dachs konnte man den Vollmond über der Stadt erahnen. Hatte man einen Schacht in den Bergrücken getrieben oder lag dieser Teil des Tempels im Mittelpunkt einer natürlichen Senke, eines alten Kraters vielleicht?
    Ich fühlte mich plötzlich sehr verloren.
    Da fingen einige funkelnde Gegenstände am Boden meinen Blick ein, in denen sich das Mondlicht spiegelte, und ich erkannte, dass sich unter dem Berg aus Asche weitere Kristalle befanden. Sie glichen denen, die wir auf dem Platz vor dem Tempel gesehen hatten, waren aber größer und prächtiger. Einige von ihnen waren in eigenartige Fassungen oder Behältnisse eingesetzt, und obgleich diese größtenteils verbrannt oder geschmolzen waren, schien das Feuer den Kristallen selbst keinen Schaden zugefügt zu haben.
    Ich versuchte, Freude über den Fund zu empfinden. Wir hatten Vanderbilts Schatz entdeckt! Zweifellos waren dies die Schätze, denen der Ort seinen Namen verdankt; die fremdartigen Steine, deren ungewöhnliche Eigenschaften lange Jahre die besten Köpfe der Niederlande beschäftigt hatten.
    Doch es wollte und will sich kein Gefühl des Jubels bei mir einstellen. Vanderbilts Paleis des Schonen Schijn ist

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