Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
langsam zur anderen Seite des Echsenparks zurück, wobei ich tunlichst darauf achtete, dass meine beiden Kupferdrähte sich nicht verhedderten.
„Ich warte“, rief der Wachmann. Erneut hatte er seine Position verändert.
„Ich bin gleich so weit“, beteuerte ich und ging hinter einer massiv wirkenden Kutsche in Deckung.
„Nun lassen Sie schon die Spielchen“, sagte der Wachmann, und da sah ich ihn zwischen den Beinen des Drachen.
Ich stopfte je ein Ende des Drahts in einen der Stutzen an meinem Armband und jagte einen Stromstoß hindurch, so fest ich konnte.
Der grinsende Drache verschwand in einem mächtigen Feuerball. Mehrere Scheiben des Palastes gingen durch die Detonation zu Bruch, und die Hitze und der Gestank hüllten mich selbst in meiner Deckung im Handumdrehen ein. Ich hörte das Knistern von Feuer, konnte aber in dem dichten Qualm weder von dem Dinosaurier noch dem Wachmann eine Spur entdecken. Hatte ich ihn erledigt?
Stattdessen entdeckte ich das Mädchen, das durch den Rauch gestolpert kam. Die Inderin bewegte sich mühsam, ihr Schwert hing ihr schlaff in der Hand. Sie blutete aus mehreren Wunden. Dann sah sie mich und erstarrte. Ich aber winkte ab und bedeutete ihr, näher zu kommen. Ich hatte ohnehin keine Kraft mehr weiterzurennen.
„Was haben Sie getan?“, fragte sie bestürzt.
„Ich habe ihn in die Luft gesprengt“, erwiderte ich ernst. Dann musste ich auf einmal lachen. Höchstwahrscheinlich war das noch die Aufregung. „Wer war der Kerl?“
„Der Batsman“, sagte sie.
„Der wer?“, fragte ich verblüfft.
„Cricket“, entgegnete sie. „Sie werden nicht davon gehört haben.“
„Machen Sie Witze?“, rief ich. Plötzlich ergab alles Sinn. Ich dachte an den zahnlosen Tattergreis vor de Boers Laden. An den windigen Briten, der mir seinen Namen nicht hatte verraten wollen, aber behauptet hatte, eine Cricketmannschaft habe Sedgwicks Artefakt kaufen wollen. Oder so.
„Er hat meinen Kontaktmann ermordet“, sagte ich. „Zumindest erzählt man sich das.“
„Wenn mich nicht alles täuscht“, sagte sie, „stecken er und seine Leute hinter allem, und er trägt einen Shila.“ Sie musterte mich. „Genau wie Sie.“
Der Rauch verzog sich. Ich sah, dass der große Drache entzweigebrochen und auf die Seite gefallen war, und unter seinem schuppigen Leib kämpfte sich hustend unser Widersacher empor. „Sedgwick“, dachte ich, „und de Boer“ , und dann dachte ich: „Wenn zwei sich streiten ...“
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, sagte ich. „Aber er verfügt über bemerkenswerte Kräfte – und höchstwahrscheinlich ist das noch nicht alles.“
„Was meinen Sie?“
„Ich möchte wetten, dass er oder seine Leute über den letzten Kristall verfügen. Warum sonst hätten sie versuchen sollen, an die anderen beiden zu kommen?“
Sie sah mich einen Augenblick lang prüfend an. „Kommen Sie“, sagte sie dann und steckte ihr Schwert weg. „Ich weiß, wo wir ihn wirklich treffen können und wie wir an den Kristall kommen.“
Ich sah sie überrascht an. „Ist das ein Friedensangebot, mejuffrouw ?“
Sie zögerte. „Für den Augenblick“, sagte sie.
Ich lächelte. „Wie heißen Sie überhaupt?“, fragte ich, dann rappelte ich mich auf und folgte ihr zum Westausgang des Palasts.
Tagebücher der Arakan-Expedition
von
Major Samuel Blakewell
1827
31. Oktober
Haben früh unser Lager aufgeschlagen. Ich wäre am liebsten noch weiter gegangen, denn ich spüre, wie uns jeder Schritt näher an unser Ziel bringt. Die ganze Landschaft um uns atmet Geheimnis, fremdartige Schmetterlinge suchen sich in der Abendsonne ihren Weg über bunte Felder, und Cray, der sich wieder in botanischen Studien ergeht, behauptet, viele Pflanzen dieses Hochlands seien seltene Arten, die normalerweise im Himalaya heimisch seien und inmitten dieser tropischen Wälder wie auf einem Eiland im Ozean gediehen. Es fällt nicht schwer, das zu glauben. Immer höher ragen die majestätischen Gipfel über uns empor – ich schätze, das Zentrum des Massivs ist nur noch etwa zwanzig Meilen entfernt, und irgendwo in seinem Schatten muss Vanderbilts Paleis des Schonen Schijn liegen.
Wir wanderten den Tag entlang des oberen Flusslaufs und genossen die Kühle dieses letzten Wegabschnitts. Shiels hält sich tapfer, auch wenn er weiter Opium gegen die Schmerzen nimmt. Ich mache mir Sorgen um ihn; nicht seiner Verletzung wegen, sondern dessentwegen, was unweigerlich geschehen muss – früher
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