Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Tiere geschlachtet und der Verwesung übergeben. Flüsse legte man still, Seen trocknete man aus, und in die Erde bohrte man Löcher, bis sie in sich zusammenbrach. Man hatte den Eindruck, als wollten die Heeren alle Materie der Vernichtung übergeben, diesen Flecken auf der Landkarte zurück ins Land der Phantasie ihrer Entdecker werfen. Alles, was sie nicht zerstörten, brachten sie hinaus, schafften es fort über die See, und zurück kamen Gold und Juwelen – und die Kristalle.
Sie horteten keine Güter wie später die Engländer und gaben ihr Gold nur für Dinge aus, die sie für ihren Vernichtungskrieg benötigten. Während sich später in Bloomsbury und Kensington die Schätze der Erde stapelten, war es bei den Heeren anders. Zu ihnen kam nichts, bei ihnen verging. Es blühte nichts, alles verwelkte. Es entstand nichts, es verfiel. Hier gebar nichts und niemand, hier starb alles, außer denen, die im Tode lebten: die siebzehn konservierten Leichen in ihren Salzen, dem Kristallstaub oder was es auch sein mochte, in dem sie der Ewigkeit entgegensahen.
Das Seltsame ist, ich fragte mich nie, weshalb ich nicht abstoßend fand, was sie taten und getan hatten. Ich nehme an, es muss mir egal gewesen sein, solange ich meiner Arbeit nachgehen konnte und lernte. In ihrer Zerstörung und Ausbeutung hatten die Heeren nicht anders gehandelt als andere Kompanien oder Nationen. Sie begründeten es nicht mit fadenscheinigen Argumenten, was sie auf eine (wenn auch verdrehte) Art fast ehrlich machte. Die Welt war stets, wie sie immer noch ist: schlecht, und indem sie sie zunichtezumachen suchten, trugen sie womöglich sogar zu ihrer Besserung bei. Nun ja, das war Philosophie und ich ein Mann der Muttern und Schrauben, und mein Ansatz, den ich weniger naiv verstanden wissen möchte, als er klingen mag, lautete: Wenn die Schraube nicht in die Mutter passt, nimm eine andere Mutter. So ist es auch mit der Welt und der Philosophie. Wenn du eine Sache nicht verstehst, such dir eine andere. Es gibt genug.
Die Tage schienen nur aus Hitze, Arbeit und Instruktionen zu bestehen. Wir zählten sie nicht vorwärts, sondern rückwärts, bis mein Wissen dem ihren gleichkommen würde, so als sei ich ein in Ungnade Gefallener. Zumindest hoffte ich am Ende dieser Zeit, mein Wissen käme dem ihren gleich, denn mehr hätte ich wirklich nicht lernen können. Man stopfte mir so viel in den Kopf, dass es beinahe am anderen Ende wieder heraustroff. Schließlich kam der Tag, an dem die Sterne richtig standen und man einen Dienstboten in mein Quartier schickte, der mir die Augen verband und mich an einen mir fremden Ort führte. Es war die Kühle der Luft und das Fehlen des Zirpens der Grillen, die mich denken ließen, wir seien in einer Höhle, doch weder die Schritte des Dienstboten noch meine hallten wider, also vermeinte ich, wir seien in einem Wald.
Er stoppte mich in meinem Gang, indem er meinen Arm aus seinem Griff entließ und laut verkündete: „Der Adept bittet, gehört zu werden, er erfleht von Euch die Prüfung.“ Ich kann nicht mehr mit Gewissheit sagen, ob ich die Prüfung erflehte, aber es muss wohl mein Wille gewesen sein, denn ich wurde schließlich dazu erwählt und erzogen.
„Geprüft will er werden“, hörte ich eine schneidende Stimme, und der Dienstbote antwortete: „Auf Wissen und Glauben.“
„Geprüft auf Wissen und Glauben“, sagten nun mehrere Stimmen im Chor.
„Ehe er die Prüfung antritt, zwei Fragen“, sagte eine andere Stimme. „Die erste, in welchem Sternzeichen ist er geboren?“
„In dem der Fische“, sagte der Dienstbote.
„Dann hat er das Recht auf die Prüfung“, sagte die Stimme. „Adept, da du die Prüfung erflehst, sage mir, ob du weißt, was ihr Gewinn und ihr Verlust sind.“
Ich wusste es, wie es jeder der Anwesenden wusste, doch das Ritual wollte, dass der Erwählte die Prüfung nur willentlich ablegte. Ich holte tief Luft, dann sagte ich: „Ein der Prüfung Unwürdiger wird sie nicht bestehen. Er geht auf in Licht.“
„Wie geht er auf in Licht?“
„Indem er brennt.“
„Was ist aber der Gewinn der Prüfung?“
„Der der Prüfung würdige Adept“, antwortete ich, „wird ein Sohn der Brüder.“
Eine Weile herrschte Stille, dann erhob sich die Stimme erneut. „Nun, Adept Frans, willst du zum Sohn der Brüder werden?“
„Ja“, sagte ich ohne Zögern.
„Dann soll die Prüfung beginnen. Adept, sage mir, wie die Welt entstand.“
Jeetje , wie öde. Ich hatte mich auf
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