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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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verstanden“, sagte die Stimme dann. „Du kennst die Prophezeiung über das Ende und welchen Teil du daran haben wirst. Es heißt, einst wird ein Palast erstehen im Herzen des Reiches des Halben, der zum Trotz gegen den Vater die Mutter zum König erhebt. Dessen Lehmgeschöpfe den schwarzen Kot aus der Erde holen. In dem der Atem so kalt weht, dass sie Fell auf den Köpfen tragen. Dort wird ein Palast gebaut aus Kristall, zum Fron der Materie, des Kots und der Königin. In ihm bricht sich das Licht und das Licht die Materie. Doch soll das Licht richtig brechen, braucht es den richtigen Kristall und den, der ihn benutzt. Der Tag des Palastes wird kommen. Der Tag des zerbrechenden Lichts. So lautet die Prophezeiung, und so steht es in den Sternen. Du, der du im Zeichen der Fische geboren bist, bringst den Untergang, und der Untergang wird der Aufgang sein, wie der Bogen des Lichts. Erhebe dich nun, Sohn, und löse deine Binde. Siehe deine Väter, damit deine Väter dich als ihren Sohn erkennen.“
    Ich tat, wie mir befohlen. Wir befanden uns in einer Höhle, nein, einem metallenen Bauch, dessen Boden reichlich mit Stroh ausgelegt war. An den Wänden hingen mehrere Öllampen, deren Licht jedoch so schwach war, dass man kaum einen Unterschied ausmachen konnte zwischen den Schemen, die mich umgaben, und den Schatten, die zwischen ihnen spielten.
    Ich kannte sie, und ich kannte die Kisten, in denen sie lagen – ihre Särge, denn sie waren, obgleich nicht tot, so jedoch auch nicht lebendig. Sie waren Herrscher gewesen vor langer Zeit und hätten längst Licht werden können. Um jedoch ihren Plan ausführen zu können, mussten sie sich an ihre Herrschaft klammern. Und da es ihr Kodex verbat, leibliche Söhne zu haben, waren sie diesen moribunden Bund mit der Materie eingegangen und erhielten ihre gebrechlichen Körper mit ihrem Kristallstaub und ihrer Technik am Leben. Für alles andere hatten sie ihre Adepten – wie mich.
    Wieder sprach man mich an. Unheimlich war, dass keine der Gestalten in den Kästen den Mund zu bewegen schien. „So magst du nun ganz zum Sohne werden, indem wir zum zweiten Teil der Prüfung übergehen.“
    Sprach’s, und man brachte mich aus dem Raum.

    Wohin man mich brachte, wusste ich später nicht mehr. Was jedoch bald deutlich wurde war, dass danach vierzig Tage vergangen waren, ich kaum noch laufen konnte, wunde Knöchel, zersplitterte Fingernägel, Wunden am Kopf und eine so schwere Halsentzündung hatte, dass ich wochenlang kaum sprechen konnte. Ich war nun ein Mann des Glaubens. Ja, ich glaubte – und zwar, dass diese ganze seltsame Sache, die mir widerfahren war, kaum der Wirklichkeit entsprechen konnte.
    Man brachte mich ins medizinische Quartier, zu dem alten, eigentümlichen Arzt, und der gab mir eine Mixtur aus rohen Eiern, Zucker und Chinin mit einem leichten Sedativum, bevor ich endlich in der Hängematte eindöste. Der Wind stand still, und die Hitze ließ mich nicht richtig schlafen, doch das leichte Schaukeln zwischen Himmel und Erde auf meinem kleinen Stück Bastgeflecht erschien mir, als hätte man mich zurück ins Leben geführt. Zum ersten Mal fühlte ich mich frei und dabei ausgeglichen. Nach langer Reise durch die Dunkelheit war ich ins Licht getreten.
    Meine Erinnerung an das Vergangene war dumpf: die Heeren , meine Befragung und schließlich meine ... Epiphanie wäre wohl das Wort. Die Fragen, die sie mir gestellt hatten, und meine Antworten erschienen mir mittlerweile nur ein Produkt meiner Phantasie, Phrasen jener Gebetsmühle, die sie aus meinem Kopf gemacht hatten. Selbst die Fetzen, an die ich mich erinnern konnte, ergaben so wenig Sinn, dass sie freie Erfindung sein mochten.
    Die vierzig Tage in der Kammer oder dem Loch erschienen mir allerdings real, und sie hatten mich nicht unverändert gelassen. Ich war magerer geworden, zäher; meine Haut, eingetrocknet von der mürben Luft, saß eng an meinem Knochengerüst. Ich war wacher geworden, bewusster. Ich wusste, sobald das Sedativum nachlassen würde, würde mein Geist die letzten Fesseln sprengen, durchbrechen, zur anderen Seite, und wie eine Puppe ihren Kokon verlassen.
    Ich würde mich erheben und sagen: „Siehe, ich wache. Sieh die unglaubliche Stärke meiner Gedanken! Meine Blicke zerschießen Gebirge. Wenn ich in die Sonne sehe, muss sie erblinden. Mit meinen Gedanken werde ich die Zeit zum Stillstand zwingen. Wenn ich erst meine Stimme erhebe und spreche ...“
    Ich musste tatsächlich laut gesprochen

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