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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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eine harte Prüfung eingestellt, aber diese Frage war lächerlich. Weltentstehungslehre! Nun, das Ritual verlangte es, und da nur ein Wissender weiß, will das Wissen belegt werden. Mit dieser Logik hatte ich mich schon auf die zu folgende Rede eingestellt, die ich mit Mühe nicht auswendig vorgetragen klingen ließ.
    „Im Anfang“, hob ich an, „gebar der unsterbliche Vater das All, mit dem er eins war, und die Sterne waren sein Leib, denn sein Wesen ist Glanz und Licht. Dann gebar er den Odem und gab ihm die Gestalt einer Frau, und sie gebar einen Sohn, ohne ihn und fernab seines Wissens. Als sie sah, was sie geschaffen hatte, ein halbwissendes Wesen, da verstand sie, dass es schlecht war und schämte sich ihrer und des Sohnes, den sie ohne des Allvaters Zutun hervorgebracht hatte, und wollte ihn vor den Augen des ewig Lichtvollen verstecken. Da aber nichts außer Licht und Odem war, stand der Sohn ungeschützt vor dem Antlitz des Vaters.
    Der Halbwissende sah, dass der Odem aus dem Vater und er aus dem Odem hervorgegangen war. Er wollte den Weg des Werdens rückwärts gehen und verband sich mit dem Odem, um in ihm wie das Licht des Vaters zu werden. Doch statt des Lichts gebaren beide den Schatten, und in diesem versteckte sich der Sohn. Indem er dies aber tat, teilte sich das Wesen des Odems, und der untere Teil fiel mitsamt dem Sohn hinab. Erbärmlich und voller Schamgefühl wollte er sich mit dem Glanz des Allvaters messen und schuf, um es ihm gleichzutun, eine kleine Welt, die ein Ebenbild der großen sein sollte. ‚Sieh herab, Vater, ich habe es dir gleichgetan!’, rief er. ‚Ich bin deiner würdig, ein Schöpfer, nimm mich wieder auf in deinen Glanz. ‘
    Doch der Vater weigerte sich, ihn zu sehen, denn das Licht blickt nicht in die Finsternis. Der Halbwissende wurde nun verbittert und schuf kleine Sterne aus Lehm und dem Kot der Erde. Leuchten sollten sie, und Namen tragen wie die Sterne am Himmel, und der Vater sollte ihren Glanz aus dem Dunkel der Schattenwelt sehen und erkennen, dass es gut war. Allein, seine Sterne leuchteten nicht, denn sie waren aus Lehm, nicht aus Licht. Also stahl er den Teil des Odems, der mit ihm gefallen war, und verbarg ihn in seinen Geschöpfen aus Lehm und rief hinauf: ‚Vater, ich habe den unteren Teil deines Odems geborgen in diesen Gefäßen aus Lehm. Willst du ihn wieder, so hauche den anderen Teil deines Odems hinaus. ‘
    Da sah der Vater mit Sorge, was aus seinem Odem geworden war, und beugte sich über die Erde und durchströmte sie mit seinem Hauch. Dieser blieb, als er mit seinem unteren Teil wieder eins wurde, in den Gefäßen aus Lehm, und diese begannen zu leuchten. Da sah der Vater, dass sein Sohn ihn überlistet hatte, und wandte sich erzürnt von allem, was aus ihm entsprungen war. Weh dem allwissenden Licht, das sich nicht vor der Durchtriebenheit des Halben zu schützen vermochte! So möge es abgewandt sein, denn der Herr der Welt ist der Vater unserer Materie. In uns bergen sich beide Teile seines Odems, und wir leuchten heller als die Sterne am Firmament.“
    Stille.
    Furchtbare Stille, die selbst Teil der Prüfung war.
    Schließlich: „Wohl geantwortet, Adept. Nun sage mir, was das Ziel dieser Welt ist.“
    „Das Ziel dieser Welt ist, zu dem zu werden, was ihr vorbestimmt ist.“
    „Von wem?“
    „Uns, den Atmenden.“
    „Wann?“
    „Unverzüglich.“
    „Wie?“
    „Durch Materie zu Licht.“
    „Genauer, Adept, scheue dich nicht.“
    „Soll der Allvater uns wieder sehen, so müssen wir das Licht löschen. Wenn wir den Odem freilassen, sind wir wieder Materie, und die geht auf in Licht. Unten und oben werden eins sein mit dem Odem und dem Licht. Denn wie das Unten und das Oben ...“ Hier stockte ich und musste kurz durchatmen.
    Wie gut ich als Ingenieur auch sein mochte, es gab Bereiche im Denken der Heeren , die nicht gänzlich zwischen Wissen und Glauben unterschieden, und letzteres war bestimmt nicht meine Stärke. Ersteres vielleicht auch nicht. „Wie das Oben wie das Unten ist ...“ Mitunter hatte ich mich während der letzten Monate gefragt, weshalb ich überhaupt so etwas wissen musste, um Ingenieur zu sein; dasselbe fragte ich mich nun wieder. Mechanik, Elektromagnetismus, Bewegungsgesetze und Werkzeugkunde waren, was ich beherrschen musste; ich brauchte eine ruhige Hand, einen kühlen Kopf und einen starken Willen. Alles andere war Sache von Geistlichen. Geistliche lesen die Schriften, deuten und erklären sie. Sie verstehen, was

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