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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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linken Fuß nach der Wand und schaukelte eine Weile missmutig hin und her. Es hatte etwas Einschläferndes, weniger des Schaukelns selbst wegen, als weil es mich an die langen Schiffsreisen meiner Jugend erinnerte, während derer ich oft auch nicht mehr hatte tun können, als mich in Morpheus’ Gefilden zu tummeln. Dank der unverhofften morgendlichen Hetzjagd schmerzten mir nun Rücken und Füße, und ich musste mir sehr genau überlegen, welche Schritte ich als nächstes tun sollte. Ich war Ingenieur, potverdriedubbeltjes , kein Athlet oder Fußsoldat! Wenigstens war ich noch in der Nähe des Palasts, und so lange standen mir alle Möglichkeiten offen.
    Ich schob mir ein weiteres Stück Ananas in den Mund und griff erneut nach dem Artefakt. Der süße Geschmack der Frucht und der Anblick des strahlenden Feuers versetzten mich in meine Vergangenheit zurück, bis ich meinte, im Schaukeln der Hängematte das Wogen des Indischen Ozeans zu fühlen. Ich dachte daran, wie ich zum ersten Mal die überirdischen Kräfte, die in diesen Facetten wohnten, gekostet und die Macht der Heeren erfahren hatte. Auch damals war nichts auch nur annähernd so kontrolliert abgelaufen, wie ich mir das gewünscht hätte.
    Überlebenskunst schien eines meiner ungewürdigten Spezialgebiete zu sein.

    Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren; irgendwer machte einmal eine Bemerkung über den Tobasee, aber ich wusste nicht, in welchem Zusammenhang dies mit unserem Aufenthaltsort stand oder wo genau der Tobasee eigentlich lag. Einen See gab es auch nicht in unserer Nähe, soweit ich das ausmachen konnte, lediglich Gestein vulkanischen Ursprungs. Wo der Regen nicht gleich alles an Humus vom schorfigen Rücken der Erde abgetragen hatte, lagen vereinzelte Reisfelder, deren Ertrag sich direkt in unseren täglichen Gaben widerspiegelte. Abgesehen davon gab es nur Ödland, und wieso dem so war, sollte ich später erfahren.
    Man hatte mir nicht gesagt, wohin man uns bringen würde, als wir in Amsterdam an Bord gegangen waren. Wir, das waren zwei Kollegen und ich. Als die besten drei Abgänger der Ingenieursschule ahnten wir nur, dass es um die Verfeinerung unserer Ausbildung gehen würde. Wer unsere Ausbilder waren, war unübersehbar, denn überall an den Baracken stand es eingebrannt im Holz zu lesen:

    Die große Handelskompanie, Vereenigde Oostindische Compagnie , ehemals Herrscherin über Niederländisch-Indien. Seit 1798 offiziell zahlungsunfähig und zerschlagen: Oh, Gottes Garten ist groß genug für die Dummen, die diesem Irrglauben folgen!
    Hier scheute man sich nicht, in großen Bannern kundzutun, wer man war: Sie waren die Heeren. Sie waren wie Götter – man wusste, sie waren da, und mehr brauchte es nicht –, die Götter des Frühlingswinds und des Sturms, und ich war der Tropfen im Eimer. Ein Wort, und ich wäre zerschmettert, ein Fall, und ich ginge auf im großen Ozeans ihrer Welt; der Welt, die ihnen immer noch gehört hätte, wäre es nach ihnen gegangen, und das war vielleicht der Haken an der Sache.
    Ich war ohne leibliche Eltern aufgewachsen; allerdings kein Straßenkind mit einem von Kohlblättern aufgedunsenen Bauch und dreckigen, abgefrorenen Zehen, nein, eigentlich ging es mir gut. Ich hatte eine Ziehfamilie, die mich gut behandelte und nicht mehr von mir erwartete, als dass ich wüchse und, als ich dieser Erwartung entsprochen hatte, etwas lernte: Sprachen, Künste, Geographie, was, war egal. Da ich schon ungewöhnlich früh eine gewisse Begabung für Dinge entwickelt hatte, dachte ich, es sei angemessen, ihr weiter nachzugehen und sie als Zugewinn an Wissen darzustellen. Mit „Dingen“ meine ich wirklich Dinge im einfachsten Sinn des Wortes: Unbelebtes, Mechanisches, Maschinelles. Nicht so sehr die natürlichen Elemente, denn Steine und Sand in ihre Bestandteile zu zerlegen und anders wieder zusammenzusetzen hatte für mich schon jeher etwas von Hokuspokus, den ich den Alchimisten oder ihren engstirnigen Vettern, den Chemikern, überlassen wollte.
    Aber wenn etwas aus Einzelteilen bestand, erweckte es mein Interesse, und wenn es sich durch Dampfkraft oder Sonstiges bewegte, war ich hin und weg. So galt meine erste große Leidenschaft Lokomotiven, und da mir mein Ziehvater keine erlaubte, nahm ich mit dem Modellsatz einer Dampfmaschine vorlieb, einem winzigen Kesselchen, das sich mit einer Ölflamme heizen ließ und mit dem man über ein recht kompliziertes System von Achsen und Kettchen einige kleine Maschinchen bewegen

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