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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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vier Soldaten und einem Zivilisten kaum als Akt der Aggression auffassen kann, so haben wir diese Verträge doch gerade verletzt. Die Ufer des Irawadi aber sind fern, fast so fern wie die Ufer der Themse, und die Geschichte zeigt, dass kein Herrscher es je schaffte, diese wilden Landstriche im Schatten des Arakan-Yoma-Massivs dauerhaft zu kontrollieren. Keines Menschen Auge ruht auf diesen Wäldern. Sie sind Niemandsland.
    Leider ist die Grenze aber keineswegs unbevölkert, was mich zu dem Vorfall bringt, der sich heute Mittag ereignet hat. Wir wanderten dicht am Ufer, um den Fluss nicht zu verlieren – die Hügel nehmen einem die Sicht und die Orientierung, wie Dünen in einer Wüste – und hatten die Köpfe unter dem Eindruck des Regens gesenkt. So bemerkten wir zu spät, dass die Gegend, in die wir kamen, auf einfachste Weise kultiviert war, und ehe wir’s uns versahen, stießen wir auf einen Trupp Einheimischer. Die Männer waren klein, nur spärlich bekleidet und mit primitiven Speeren bewaffnet. Dennoch gebärdeten sie sich wie Fürsten und wollten uns nicht weiterziehen lassen, ehe wir ihnen nicht Rede und Antwort standen.
    Ich sah, wie meine Männer unruhig wurden, und wies sie an, ihre Bajonette aufzupflanzen, denn ich war mir nicht sicher, ob die Einheimischen wussten, was eine Brown Bess war und sich von einer Muskete beeindrucken ließen, solange sie nicht auch gefährlich aussah. So sicherten wir in alle Richtungen und drängten langsam voran, doch wir bewegten uns nur weiter auf ihre Siedlung zu. Der Auflauf um uns wuchs immer mehr. Ich sah in alte, faltige Gesichter, ausgezehrt wie die Gesichter von Opiumrauchern. Die Frauen hatten ihre Gesichter tätowiert und sahen fast noch furchterregender aus als die Männer. Cray versuchte, ein paar Worte an die Menge zu richten, doch Tumult brach aus, und eine alte Frau trat vor und spuckte uns vor die Füße. Daraufhin gaben Hall und O’Lannigan zwei Warnschüsse ab, die zumindest einige Sekunden den gewünschten Effekt erzielten, in denen sie nachluden und wir anderen die Verteidigung übernahmen.
    Immer noch bewegten wir uns langsam vorwärts und passierten dabei primitive Behausungen. Dann hatten die Einheimischen ihren Mut wiedergefunden, und ein junger Mann glaubte, sich beweisen zu müssen und drang mit seinem Speer auf den Sergeant ein. Der Sergeant legte an, aber seine Muskete feuerte nicht, und nur mit Glück wich er der Speerspitze aus und stach den Angreifer mit seinem Bajonett nieder. Neuerliche Warnschüsse hielten uns die Eingeborenen vom Leib. Schritt um Schritt wichen wir zurück, während das Blut des Jungen den Morast des Dorfes tränkte. Die alte Frau, die uns vorher schon angefahren hatte, stürzte an seine Seite und schrie uns mit Tränen im Gesicht etwas entgegen. Cray erwiderte etwas, diesmal sprach er laut und deutlich und erzielte einen bemerkenswerten Effekt: Die Menschen erstarrten, als sei ihnen ein Geist erschienen, dann schlossen sie mit grimmigen Gesichtern ihre Reihen und stellten sich schützend um den Verwundeten. Die Männer machten keine Anstalten, uns noch einmal anzugreifen, ließen aber nicht die Augen von uns, bis wir uns entfernt hatten, und ehe wir außer Sichtweite gerieten, konnten wir noch beobachten, wie sie einen fremdartigen Gesang anstimmten und sich hin und her wiegten wie Gläubige im Gebet. Auf seltsame Weise kam ich mir vor wie ein Aussätziger, wenn seine Dorfgemeinschaft ihn verstößt.
    Auf die Frage, was er gesagt habe, erwiderte Cray, er habe lediglich versucht, ihnen klarzumachen, dass wir nur auf der Durchreise seien, auf dem Weg in die Berge, und es mit ein paar der Worte von Vanderbilts Grab durchsetzt. Ich weiß nicht, was mir mehr missfällt: dass er ihnen das Ziel unserer Reise verriet oder die Reaktion, die seine Worte hervorriefen. Immerhin hat er ein Blutbad verhindert.
    Sobald wir den Waldrand erreichten, schlugen wir unser Lager auf. Mit einigen Mühen gelang es uns, ein Feuer zu machen. Lt. Hall ermahnte den Sergeanten, bei diesem Wetter seine Pulverpfanne stets sauber von Rückständen zu halten, da diese ansonsten die Feuchtigkeit anzögen und zu Überraschungen wie der vorhin führen könnten. O’Lannigan war immer noch blass um die Nase – ich glaube nicht, dass er je bisher sein Bajonett in einen Menschen getrieben hat –, und wir anderen verspürten keine Lust auf Unterhaltung.
    Ich widmete mich daher wieder dem Studium von Vanderbilts Tagebuch. Ich habe die letzten Tage seines

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