Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
ich sehen, wie sie explodierte. Ob sie versuchen würde, mich zu kratzen? „Ich bin Captain der Armee. Das Personal am Palast weiß, wo man mich finden kann, und höchstwahrscheinlich weiß Lord Bailey das auch sehr gut.“
„Sie bewachen den Palast?“, fragte sie skeptisch und schlang den Morgenmantel nun doch ein wenig enger um sich. Wahrscheinlich fragte sie sich, ob ich sie am Vortag dort gesehen hatte.
„Es ist kaum ein Geheimnis, dass fremde Kräfte die Weltausstellung nutzen könnten, um dem Ansehen oder der Sicherheit des Empire zu schaden“, erklärte ich höflich.
„Fremde Kräfte“, wiederholte sie und versuchte zu lächeln.
„Sie finden den Gedanken amüsant?“
„Ich finde ihn nur nicht sonderlich naheliegend.“
„Ach?“ Ihre Verunsicherung bereitete mir Wohlbehagen, und ich massierte mir den Nacken und gähnte ordentlich. „Sicher, an einem frischen Frühlingsmorgen, in einem der besten Viertel der Hauptstadt der zivilisierten Welt, mag die Vorstellung einer diffusen Bedrohung wie Verfolgungswahn wirken. Höchstwahrscheinlich haben Sie nicht gesehen, was ich gesehen habe. Oder vielleicht doch?“
„Was gesehen?“, erkundigte sie sich.
„Einen Mann, der über die Gabe verfügt, sich unsichtbar zu machen und den Drang verspürt, sich ausgerechnet ins Zentrum jenes gläsernen Palasts zu begeben, in dem Ihre Majestät die Königin und Seine Königliche Hoheit Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha in zwei Tagen die großartigste und bedeutsamste Zurschaustellung menschlichen Schaffens eröffnen werden, die die Welt je gesehen hat“, führte ich aus. „Ganz zu schweigen von einigen kostbaren Kunstschätzen“, ich ließ den Blick recht lange auf dem Stein an ihrem Hals ruhen, „deren wahrer Wert sich nur Eingeweihten erschließen mag. Würde Sie das nicht auch nervös machen, wenn es Ihre Aufgabe wäre, Katastrophen vom Empire abzuhalten?“
„Was glauben Sie eigentlich, was ich versuche?“
„Ich weiß nicht. Sagen Sie es mir.“
„Ich habe einen äußerst gefährlichen Mann verfolgt.“ Sie atmete tief durch. „In einem haben Sie recht: Er ist Niederländer. Vor allem aber ist er ein Killer ...“
„Lassen Sie mich raten“, sagte ich. „Er hat den Whistpartner Ihres ... Mentors auf dem Gewissen. Einen gewissen Sir Malcolm, nicht wahr?“
„Sie wissen nicht, wovon Sie reden“, wehrte sie ab, aber es kam nicht sehr überzeugend.
„Oh, aber Sie?“, staunte ich. „Was hat man Ihnen versprochen? Einen reichen britischen Gatten? Mehr Schmuck, als Sie tragen können? Eine erregende Weihe in einem heidnischen Kult, während Ihre Freimaurerfreunde unter ihren Roben Hand an sich legen?“
Die letzte Bemerkung hatte gesessen. „Gehen Sie“, fauchte sie und versuchte, die Tür zu schließen, aber diesmal packte ich den Rahmen und stieß ihn so weit auf, wie ich konnte. Die Tür schlug hart gegen die Wand, und nur einer beeindruckend schnellen Reaktion, die mir nicht entging, verdankte sie, dass sie ihr nicht die Finger brach.
„Der einzige Grund“, erklärte ich ihr, „weshalb ich Sie nicht auf der Stelle abholen lasse oder einfach selbst mitnehme, ist der, dass Sie sich in der Obhut – oder sollte ich sagen, im Gewahrsam? – eines einflussreichen Peers befinden. Ich rate Ihnen, Miss, vergewissern Sie sich besser früher als später, wie weit er zu Ihrem Schutz zu gehen bereit ist, denn wenn er Ihnen das da“ – ich zeigte auf ihr Halsband – „geschenkt hat, dann hat er Ihnen einen Bärendienst erwiesen.“
„Was immer Sie darüber zu wissen glauben ...“
„Sie wissen es wirklich nicht, richtig?“, schloss ich. „Wo er steckt, meine ich. Vielleicht hat er Sie schon im Stich gelassen?“
„Sie wissen gar nichts!“
„Ich folge meiner Intuition.“
Sie beugte sich weit vor, bis ihr Gesicht ganz nah vor meinem war. Ihre Nasenflügel bebten, und in ihren Augen flackerte eine Leidenschaft, wie ich sie mir von manchen Frauen manchmal gewünscht hätte. Als sie sprach, klang ihre Stimme sehr leise und deutlich.
„Schieben Sie sich Ihre Intuition dorthin, wo die Sonne nicht scheint, Captain.“
„Das habe ich bereits“, lächelte ich. „Möchten Sie nachschauen?“
Damit ließ ich sie stehen und schlenderte die Straße hinab.
Tagebücher der Arakan-Expedition
von
Major Samuel Blakewell
1827
26. Oktober, Nachtrag
Haben heute gute Fortschritte gemacht. Der Weg durch die Hügel ist beschwerlich, aber nichts im Vergleich zu dem, was uns
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