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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Lebens inzwischen rekonstruiert; allerdings sind seine Eintragungen so verwirrend, dass ich nicht weiß, wie viel davon ich meinen Männern zumuten soll. Zwar zweifle ich nicht an ihrem Gehorsam, aber ich bin nicht sicher, inwieweit sie bereit sind, die Geschehnisse, von denen die Aufzeichnung aus Fort Chinsura und dieses Tagebuch berichten, für bare Münze zu nehmen. Cpt. Adams zum Beispiel merke ich an, dass er nicht damit rechnet, am Ziel unserer Reise etwas anderes als Ruinen und vielleicht den ein oder anderen goldenen Becher zu finden. Immerhin hält er sich mit seinen Zweifeln zurück, was ich zu schätzen weiß.
    Denn es schiene der Moral meines kleinen Trupps doch sehr abträglich, würde ich ihnen jetzt enthüllen, dass Vanderbilt zweifellos wahnsinnig war, als er aus den Wäldern zurückkehrte. Was genau er dort erlebte, darüber äußert er sich auf den letzten Seiten nicht; seine Gedanken drehen sich in erster Linie um sein eigenes und um das Befinden Fleerackers, von dem er sich trotz der Notlage, in der sie sich befanden, und die zwei Männer eigentlich zusammenschweißen sollte, bedroht fühlt. Er begegnet ihm mit einem Argwohn, dass es schon an Verfolgungswahn grenzt (und wie berechtigt diese Angst doch ist, bedenkt man, wie es für ihn endete!)
    Was die Sache so verwirrend macht, ist, dass Vanderbilt wiederholt die Behauptung äußert, er sei in der Lage, an Fleerackers’ Gedanken teilzuhaben; er höre seine Stimme und könne seine Absichten erkennen, während sie sich, die letzten Überlebenden ihrer Expedition, bei Dauerregen durch die Wälder und die Hügel kämpften und dabei einen improvisierten Schlitten durch den Schlamm hinter sich herzogen, darauf all die Schätze, die sie im Urwald geborgen hatten. Zwar wechselten sie sich ab bei diesem Frondienst, dennoch scheint es eine Menge Missgunst gegeben zu haben und wenig Einigkeit dar-über, wer vorausgehen und wer folgen sollte, da man sich nicht aus den Augen lassen wollte. Vanderbilt war felsenfest davon überzeugt, Fleerackers wolle ihn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ermorden, um dann die Schätze für sich alleine zu haben. Dabei bedient er sich wiederholt eines Wortes, wahrscheinlich aus dem Indischen, das mir bereits in den Chinsura-Dokumenten begegnet ist und dessen genaue Bedeutung sich mir bisher verschließt.
    Die genaue Natur dieser Schätze ist eines der großen Rätsel, die ich mit dieser Expedition zu enthüllen hoffe. Der Autor der Chinsura-Dokumente legt nahe, sie bescherten ihren Besitzern bestimmte vorteilhafte Kräfte, ganz in der Tradition der fernöstlichen Länder, deren Legenden voll mit Glücksbringern, Herrschaftszeichen und Gottesgeschenken sind. Manchmal heißt es, diese Talismane brächten ihren Trägern Energie und Gesundheit; manchmal heißt es, sie verliehen ihnen Weisheit oder Geschick bei der Kriegsführung. Wie auch immer, die Niederländer hielten diese Geschichten dem Anschein nach für glaubhafter, als es für bodenständige Händler wie sie charakteristisch scheinen möchte. Glaubhaft genug für Vanderbilt, um für plausibel zu halten, dass Fleerackers ihn dafür töten wollte, bis hin zu dem Punkt der Hysterie, da er sich einredete, die Gedanken seines Gefährten sprächen zu ihm und verrieten ihm seine finsteren Absichten. Schließlich versteigt er sich in den Wahn, er könne, ja müsse Fleerackers zuvorkommen, und rechtfertigt seine Mordlust mit dem Glauben, dass er dessen Erinnerungen in sich bewahren könne wie in einem Gefäß, so dass das wertvolle Wissen des jungen Gelehrten mit seinem Tod nicht verloren ginge.
    Ich werde meinen Männern vorerst nichts über diese Hirngespinste berichten. Zum Glück sind sie alle zu sehr Männer der Krone, um ihrem Vorgesetzten und Expeditionsleiter mit Fragen zur Last zu fallen; dennoch sehe ich ihnen an, dass es sie nach Antworten verlangt. Vielleicht morgen – oder wenn ich weiß, was den Niederländern im Dschungel widerfahren ist. Morgen werde ich beginnen, das Buch von vorne her zu übersetzen. Heute ist es zu spät dafür, und ich muss über das Gelesene schlafen, ehe ich mir ein Urteil bilden kann.
    28. Oktober
    Eine furchtbare Katastrophe – wir können es noch nicht verstehen und zugleich keinen anderen Gedanken fassen als diesen: Er ist tot – welch dunkler Tag, an dem ich solche Worte schreiben muss, doch was nutzt es, anzuschreiben gegen das, was sich unumkehrbar ereignet hat? Cpt. Adams ist tot – er wurde heute Nacht von einem wilden

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