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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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sie sich wundern, während ihre Saat sich ihrer Allwissenheit entzog!
    Doch wohin? Die Hagelkörner hatten nun die Größe von Amseleiern. Einige Damen gerieten in Panik, und ihre Kinder drängten sich jammernd an sie. Freudige Erregung blitzte in den Augen der Priester, und die Krüppel, die sich für die Fischbuden und Ginpaläste verkauften, verkrochen sich unter ihren Werbeschildern. Einer, der sich für eine Dosensuppe als Schildkröte verkleidet hatte, brauchte sich nur hinzulegen und den Kopf einzuziehen. Leider hatte ich keinen Schutz. Ein besonders großes Korn traf meinen Schädel, und eingedenk meiner Hutlosigkeit und der Aussicht, bald ohnmächtig in der Gosse zu liegen, um einer langsamen Steinigung entgegenzusehen, beschleunigte ich meine Schritte. Das Prasseln des Eises auf dem Straßenpflaster, den Kutschendächern, den Trödelständen und den Zylindern mischte sich wie ein Paukentremolo unter das schmerzhafte Glissando in meinem Kopf. Überall räumten Menschen die Straße und suchten Schutz in den Spelunken und Läden und Kohlekellern oder welchen Unterschlupf sie eben finden konnten. Da entdeckte ich einen großen, achteckigen Marmorbau unweit des Themseufers, unter dessen Dach sich die Massen flüchteten wie unter ein Zirkuszelt. Hätte ich länger bei diesem Anblick verweilt, so hätte es mich vielleicht gewundert, wie viele Menschen diesen seltsamen Bau bestürmten und dass keiner von ihnen wieder aus ihm herauskam, doch ich verweilte nicht, sondern rannte drauflos. Jeder rannte in diesen Sekunden, als sei die Sintflut losgebrochen und Noahs Arche kurz vor dem Ablegen, und ich erlebte den Rausch und den Zauber der Massenpanik, wie sie Lemminge wohl befällt, während ich immer noch an de Boer dachte, oder das, was von ihm geblieben war, und einen Moment dachte ich, die Eisklumpen, die vom Himmel fielen, seien die platschenden Brocken von de Boers Gehirn, und das schrille Kreischen in meinem Schädel sei der Schrei der Harpyien, die die Heeren gesandt hatten, um die Brocken und mich aufzulesen und davonzutragen.
    Ich war nicht der Erste gewesen, der de Boer gefunden hatte, dachte ich, während ich verwirrt in ein von einem grimmigen, backenbärtigen Wachmann verteidigtes Drehkreuz aus Messing im Eingang des seltsamen Turms taumelte und mich gegen Zahlung eines Pennys in einem hohen, schönen Raum mit Stuckwerk an Wänden und Decken wiederfand. Ich fand auch die Erklärung dafür, weshalb dieser Bau die Menschen zu Hunderten, ja Tausenden verschluckte, ohne sie wieder auszuspucken, denn drinnen führten Treppen in die Dunkelheit hinab, aus der mir nun der Klang von Musik und das Licht unzähliger Gaslampen entgegenschlug, als betrete ich Alberichs unterirdisches Reich. Die Menge schob mich mit sich, und ich ließ es dankbar geschehen und stolperte überschwänglich die Stufen hinab, entlang an jahreszeitlichen Bildnissen und szenischen Darstellungen Italiens oder der Niagarafälle, denn vielleicht böte mir die Tiefe Schutz vor dem suchenden Auge der Heeren , wie sie mich auch vor dem Hagel beschützte.
    Man hatte das Arbeitszimmer einer gründlichen, aber nicht sehr rücksichtsvollen Durchsuchung unterzogen. Alle Schubladen waren offen, alle Schränke geplündert, die Bücher aus den Regalen und die Bilder von der Wand gerissen, und alles vermischte sich in der unappetitlichen Soße, dem de Boer’schen Tatar, in den sich hier und dort Erbrochenes gemengt zu haben schien, was mich schließen ließ, dass der oder die vorigen Besucher ähnlich überrascht und angetan von ihrem Fund gewesen waren wie ich, als ich nach einem langen Nachmittag, an dem ich mir zunächst einen Apotheker und – zu einem vernünftigen Preis – eine gute Dosis Laudanum besorgt hatte, endlich nach vollbrachter Odyssee de Boers Büro in den Docks ausfindig gemacht hatte. Ich hatte mir die einfache Kleidung eines Hafenarbeiters zugelegt, das Artefakt sicher in einem Sack über meiner Schulter verstaut, und mit dem Verband über meiner gebrochenen Nase und dem Bart zweier Tage mochte ich tatsächlich wie einer der gefährlichen Rabauken aussehen, die dieses Viertel unsicher machten. Doch meine Stiefel klebten in der rutschigen Masse auf dem Boden, und ich mochte keinen Schritt mehr tun, denn mir war schwindlig, und bei dem Geräusch, das die Sohlen machten, wenn ich sie aus dem Brei herauszog, drohte sich mein Magen umzudrehen.
    Nach der ein oder anderen Plattform erreichten ich und meine Gefährten auf dieser Höllenfahrt

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