Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Rákóczi-Marsch und einige naive amerikanische Volksweisen schmetterte. Wie ich staunend erkannte, spielte ein dampfbetriebener Liliputaner, der mit einem idiotischen Grinsen einen Gassenhauer nach dem nächsten aus ihr leierte, die Orgel, der die Neugierde des Publikums offensichtlich auf eine possierliche Bilderschau lenken sollte, die sich selbst als das königliche Kosmorama bezeichnete und einen für einen weiteren Penny die Schlacht von Waterloo, die Idylle eines spanischen Klosters oder den Zauber venezianischer Wasserstraßen erleben ließ, während direkt über den Köpfen der artig staunenden Touristen die Themse ihre schlammigen Fluten durch ihr Bett schaufelte und schwere Schiffe ihre Lasten in die Docks transportierten.
„Eigentlich“, dachte ich, „eine wunderbare Sache.“
Ich war einstweilen in Sicherheit und hatte alles, was ich brauchte. De Boers Laden war eine wahre Fundgrube gewesen, denn wer immer ihn auseinandergenommen hatte, war nur am Inhalt des versteckten Tresors interessiert gewesen, nicht an de Boers reichhaltigem Warenangebot, zu dem nicht zuletzt ein guter Vorrat an Konservendosen, Werkzeug und an Schießbaumwolle sowie, ich traute meinen Augen kaum, auch einige Fläschchen Pyroglycerin, die er im hintersten Winkel seines Eisschranks aufbewahrte, gehörten. Diese teuflisch gefährliche Flüssigkeit war so ziemlich der potenteste Sprengstoff, den man sich wünschen konnte, und es wäre eine Schande gewesen, ihn dort zu lassen. Andächtig hatte ich eines der braunen Fläschchen aus dem Schrank gezogen. Der Inhalt war noch fest; erst bei Temperaturen um die dreizehn Grad Celsius würde er zu zerfließen beginnen und seinem Besitzer das Leben schwer machen. Nun, ich packte es und alles, was mir sonst noch nützlich schien, zusammen und stopfte es in meinen Sack.
Ich beschloss, mich mit Kuchen und Wein in einem kleinen Kaffeehaus zu stärken, das ein kreideweißer Greis führte.
„Fabelhafter Kuchen“, stellte ich fest und hielt mir die Gabel vor die Augen. Den Seesack hatte ich vor mir auf die Theke gelegt. „Was ist das, Kirsch?“
Er nickte. „Freut mich, dass er Ihnen schmeckt.“
„Das tut er“, sagte ich und schmatzte. Dabei studierte ich seinen auffallend bleichen Teint. „Sagen Sie, guter Mann, schlafen Sie hier unten?“
„Es mag Ihnen so scheinen“, erwiderte mein subterraner Wirt, „doch ich nenne ein weiches Bett an der Oberfläche mein Eigen – ich werde nicht verraten, wo es steht!“
„Dann nehmen Sie jeden Tag die Stufen nach unten und wieder nach oben?“, fragte ich. Das Klopfen in meiner Nase und meinen Schläfen kehrte zurück, und wie nebenbei schraubte ich das kleine Fläschchen auf, das ich bei dem Apotheker erstanden hatte, und träufelte etwas Laudanum in meinen Wein. Mir fiel auf, dass sich eine kleine Lache um meinen Sack ausgebreitet hatte. Das Eis, in das ich das Pyroglycerin gepackt hatte, zerrann mit beachtlichem Tempo. „Das hält einen in Schwung, möchte ich meinen.“
„So ist es“, bestätigte der Alte. „Doch ich komme, ehe der Tag anbricht, und gehe erst spät in der Nacht. Sagen Sie, gibt es noch eine Sonne dort oben? Manchmal kommt es mir vor wie ein Traum.“
„Es gibt noch eine Sonne, mein Guter“, versicherte ich ihm, was er mit einem glücklichen Seufzen quittierte. „Doch sagen Sie, wessen Genie verdanken wir dieses fabelhafte Reich?“
Da erzählte er mir die wundersame Geschichte von Marc Isambard Brunel, der Herr habe ihn selig, wie er bald zwanzig Jahre lang für sein Land und seine Unsterblichkeit unter der Erde gewütet und geschuftet und zwei Könige in dieser Zeit überlebt hatte, während er, nur mit der Unterstützung seines Sohns, des kleinen Isambard Kingdom, eigenhändig gegen die Mächte des Wassers und des Wahnsinns gekämpft hatte, bis er den Tunnel schließlich vollendet und die Schatzkammern des Reichs um eine halbe Million Pfund erleichtert hatte, woraufhin ihn die neue Königin zum Ritter schlug und er selbst nach einer Reihe hässlicher Schlaganfälle seine letzte Reise antrat. Wenn man dem Alten lauschte, glaubte man, er spräche von einem Heiligen, der noch irgendwo hier unten schlummerte und eines Tages, in Zeiten der Not, zurückkommen mochte.
Ich dankte ihm für das Backwerk, nahm meinen Sack und wanderte wieder in den Tunnel hinaus. Ein angenehmer, warmer Pelz hatte sich um meinen Verstand gelegt. Der durchdringende Ruf der Heeren war verklungen, und mein Kopf gehörte wieder mir. Ich
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