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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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mir Befehl. Sie haben mich gelehrt, die Wege der Götter nicht zu kreuzen, und ich werde Ihren Rat beherzigen. Sie lassen mich in Ruhe, ich lasse sie in Ruhe. So funktioniert das doch, oder? Alles Gute.“
    Und damit ließ ich ihn im Salon zurück. Draußen schnappte ich mir mein Bündel, das Mrs. Lincoln mir gerichtet hatte, und trat auf die Straße.
    Rasch entfernte ich mich, ehe Bailey oder seine Haushälterin darauf bestehen konnten, mir eine Kutsche zu rufen. Immer weiter eilte ich, einfach nach Süden, und erst, als ich schon fast das Chelsea Hospital erreicht hatte, fiel mir auf, dass ich immer noch Mrs. Lincolns Kleidung trug, die immer noch kratzte, kein Geld bei mir trug, und es im Umkreis von über einer Meile keine Brücke gab, die mich nach Hause bringen könnte.
    Da öffnete sich der Himmel, und Hagelkörner, so groß wie der Shila an meinem Hals, prasselten auf London herab.
    Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Alles war so falsch. Ein Hagelkorn traf mich an der Stirn, dann ein weiteres, wie die Schläge des alten Sebait damals in Kalighat. Ich breitete die Arme aus und hieß den Schmerz willkommen, und die Menschen, die mich da stehen sahen, hielten mich sicherlich für verrückt.

Frans Ovenhart
    In der Unterwelt
    D er Anblick der grauen Hirnmasse, die sich überall in de Boers Arbeitszimmer verteilt hatte, verfolgte mich noch, als ich schon lange wieder auf der Straße war, untergetaucht in der Menge, die sich einem noch unsichtbaren Abgrund entgegenschob wie Treibholz einem fernen Katarakt. Klebrig hingespritzt, als hätte jemand einen verkochten Blumenkohl mit Schwarzpulver gefüllt und losgehen lassen. Die Masse hatte durch das Blut, das sich in sie mischte, verschiedene Farbtöne gehabt, von einem fahlen Zinnoberrot bis zu einem satten, marmorierten Magenta. Ich schnaufte tief, denn ich bekam durch meine geschwollene Nase keine Luft, aber dennoch stach der Gestank des Gehirns an meinem Gaumen wie eine verdorbene Ladung Austern.
    Immer schneller schob sich die Menge voran. Der Himmel hatte sich zugezogen, es war kälter geworden, und wie um dem entgegenzuwirken schickten die Schornsteine der Fabriken und Schaufelraddampfer neue Salven empor, Hitze gegen die Kälte, Feuer gegen Wasser. Überall ringsum schaukelten die Masten der Schiffe, dass mir schwindlig wurde. Ich war in den Docks, die sich von den fernen Grenzen der Stadt bis zum Tower erstreckten, der irgendwo hinter mir seine Zinnen zum Himmel reckte. Lebende Werbetafeln priesen die fleischlichen Attraktionen des East Ends an, Straßenprediger drohten vor verfallenen Kirchen mit dem Schweißfieber, der Pest und dem Ende aller Tage, und passend dazu tat sich der Himmel auf, und die ersten Hagelkörner prasselten herab.
    Das Hirn hatte den ganzen Raum ausgefüllt. Es hatte sich in einer rostroten Pfütze um de Boers kopflosen Torso ausgebreitet und war auf dem Blut, das seiner Halsschlagader entströmt war, langsam bis in die entlegenen Winkel geschwommen, so als plane es, sich dort auszusäen. Kühnere Brocken waren direkt bis zur Wand geflogen und hatten sich an ihr festgesaugt, eine kletterfreudige Gehirnflechte, die sich an die Ziegel und Balken krallte, um sich über den Verlust ihres Rückenmarks hinwegzutrösten. Selbst von der Decke hatte de Boers Gehirn wie Salpeter in einer Grotte getropft.
    Das Pfeifen in meinem Ohr war zurück. Schnell wurde es lauter und schwoll zu einem Klang an, als malträtiere man mitten in meinem Schädel die gespannten Därme einer Drehleier, und ich fragte mich, was, wenn es für de Boer genauso gewesen war? Finde er den Kaufmann, und finde er ihn zur rechten Zeit. Sicher, vielleicht wollten die Heeren nur kurz anklopfen und fragen, ob es mir gut ginge in London, ob ich meine Zeit genösse und vielleicht einige hilfreiche Gedanken zu dieser akribisch vorbereiteten Mission hätte? Vielleicht wälzten sie sich aber auch in diesen Minuten unruhig in ihren Salzen, während ihre schwimmenden Särge unaufhaltsam auf die weiße Küste Dovers zuhielten und wunderten sich, weshalb der Ingenieur nicht explodierte. Ich dachte an die rauchenden Erdöfen auf Sumatra. Was war ich, ein Pulverfass, die Fransbombe, der Ingeniumsfunke? Goddank war dieser Ingenieur schlauer als sein Bauherr! Grimmig umschloss meine Hand den kleinen Kristall, den mir der einäugige Brite aus dem Ohr gerissen hatte. Was für ein Krüppeldienst, nein, was für ein Glück! Sollten sie anklopfen, sollten sie sich wälzen, sollten

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