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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Ich kannte den Laden nicht und war nie zuvor dort gewesen. Wahrscheinlich war es der Name, der mich angezogen hatte, während ich mich bei Einbruch der Dunkelheit immer tiefer in ein Viertel verirrt hatte, in dem sich immer zwielichtigere Gestalten in den engen Gassen drängten und ich die meisten Schilder nicht einmal lesen konnte: „The Old Junk“. Das Schild war mit dicken, schwarzen Pinselstrichen gemalt gewesen, und daneben hatte eine chinesische Laterne gebrannt. Die Vermutung lag daher nahe, dass der Besitzer der Absteige mit „Junk“ den Schiffstyp gemeint hatte. Bestätigt hatte sich das erst, nachdem ich die kurze Treppe hinab in den Keller gestiegen war. Ich fragte mich, ob der unbekannte Maler sich der Doppeldeutigkeit des Namens bewusst gewesen war.
    An den Wänden der Absteige hingen alte, künstlerisch wenig anspruchsvolle Zeichnungen chinesischer Dschunken, und allerhand nautisches Gerümpel fand sich auch: In die Theke war ein alter Schiffskompass eingelassen, hinter der Bar stand unter den Flaschen ein Sextant, von der Decke hing ein mit Bambusrohr verstärktes Dschunkensegel, das gleichzeitig als Raumteiler zwischen dem Teil der Absteige, in dem Essen serviert wurde und dem Teil, der für die nur trinkenden Besucher bestimmt war, fungierte.
    Die einzigen Gäste waren drei Chinesen. Einer trug eine bunte Seidenrobe, die zumindest auf den ersten Blick fast so teuer wie der ganze Laden war, die anderen beiden hatten derbe Kleidung an. Sie sahen für mich aus wie Dockarbeiter oder Seeleute, schienen sich aber blendend mit ihrem bunt gekleideten Landsmann zu verstehen. Alle drei saßen an einem niedrigen Tisch, aßen Reis, tranken Pflaumenwein aus kleinen Schälchen und murmelten leise vor sich hin.
    „Kann man hier auch etwas zu trinken bekommen?“, hatte ich gefragt, und der Chinese in der Robe hatte kurz aufgesehen und gelächelt, sich dann aber wieder seinen Freunden gewidmet.
    „Trinken. Trinken!“, hatte ich wiederholt, entschlossen, nicht so leicht aufzugeben.
    „ Wo cao “, grinste der Chinese.
    „ Ta zehli ganma ?“, fragte ein anderer.
    „ Wen ta “, meinte der dritte, und sie kicherten.
    „Gluck! Gluck!“, versuchte ich mein Glück.
    „Dong! Dong!“, riefen die Chinesen und brachen in Gelächter aus.
    Dann war der Wirt erschienen und hatte mich höflich, aber bestimmt unter dem Segel hindurch zu der leeren Bar gelotst.
    Was soll ich sagen, die Gesellschaft hatte mir zugesagt, also war ich geblieben.

    Ich hob mein Glas und schnippte mit dem Finger dagegen, damit der Hausherr auf mich aufmerksam wurde und mein Bier nachfüllte.
    „Dein Name ist also Dong“, überlegte ich laut. Ich wusste, dass das unter Chinesen ein durchaus verbreiteter Vorname war. Wenn ich mich recht erinnerte, bedeutet er „Osten“. Aber ich hatte wenig Lust, mit meiner Bildung zu glänzen. „Wie kommt ihr Chinesen nur immer auf derart dämlich klingende Namen?“, fragte ich stattdessen.
    Der chinesische Wirt lächelte höflich. „Bei unserer Geburt wirft der Vater eine Handvoll Münzen auf den Boden und lauscht auf den Klang“, erklärte er mir.
    Ich muss wohl ein recht dämliches Gesicht gezogen haben, denn Dong beeilte sich, mir in einwandfreiem Englisch zu versichern, dass er nur einen Witz gemacht habe.
    Ich sagte ihm, er solle mir Bier geben und seine Weisheiten für sich behalten.
    Dann beobachtete ich Dong, wie er das Bier zapfte. Immerhin, einen Vorteil hatte diese Absteige: Es wurde Imperial Pale Ale ausgeschenkt, ein Bier, das zwar in England gebraut wurde, aber für den Export nach Indien und in den Fernen Osten bestimmt war und deshalb hier in London kaum zu erhalten war. Als das Glas halb voll war, hörte Dong – schon wieder – mit dem Zapfen auf und drehte sich zu dem Fass um, in dem er sein Wasser hatte. Ich seufzte. Schon vier Mal hatte ich ihm gesagt, ich wolle das Getränk pur haben, aber dieses Wissen schien sich nicht in seinem chinesischen Schädel festsetzen zu wollen. Wahrscheinlich, weil das Imperial Pale in den Kolonien normalerweise im Verhältnis eins zu eins mit Wasser versetzt wurde, um den hohen Alkoholanteil zu mindern. Aber nur weil alle Welt dieses Bier so trank, musste ich das ja nicht auch tun. Ich warf dem Mann einen seiner Bierfilze an den Kopf und sagte ihm, er solle weiterzapfen. Mit chinesischer Gehorsamkeit folgte er meinem Befehl.
    Dann stellte er das Glas auf die Theke, und ich nahm einen tiefen Schluck. Das lauwarme Getränk schmeckte genau wie die

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