Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
aufs Haus.“
Ich roch misstrauisch an dem Getränk und erzählte so beiläufig wie möglich weiter.
„Nun ja, es war im Opiumkrieg. Ich war Lieutenant bei den Royal Marines unter Captain Blaxland Stransham. Wilberforce war Fähnrich in der gleichen Einheit und sozusagen mein zweiter Mann. Ich hatte den Auftrag, meine Männer, die zweite Gruppe vom 29. Kommandoregiment der dritten Brigade, den Yong entlang nach Zhenhai zu verlegen, um uns dort mit der ersten und der dritten Gruppe zu vereinigen. Blaxland wollte von Zhenhai aus Ningbo erobern, denn er wusste, dass die Chinesen gut zehn Tonnen Opium, das sie in den Faktoreien der East India Company beschlagnahmt hatten, von Ningbo nach Shanghai transportieren wollten.
Wir ritten also den Yong entlang, als am Abend des ersten Oktobers ’ 41 die Kundschafter meiner Vorhut zurückkehrten und berichteten, dass sie zwei chinesische Dschunken ausgemacht hatten, die in einer Biegung des Yong ankerten.
Wir, also Wilberforce und ich, ließen uns die Entdeckung zeigen. Tatsächlich lagen da zwei Dschunken, und so an die dreihundert Chinesen hatten am Ufer ihr Lager aufgeschlagen. Die Dschunken lagen tief und mussten also schwer beladen sein, obwohl die Chinesen fast alle an Land waren. Ich dachte mir, es könne gut sein, dass der Opiumtransport Ningbo schon verlassen hatte, noch bevor Blaxland die Gelegenheit hatte, die Stadt einzunehmen und dass das Zeug nun vor mir auf dem Boden vor den Schiffen lag. Die vier Fuß hohen Ballen dort konnten Stoffe sein, aber ebenso gut auch Rohopium.
Es war eine verlockende Gelegenheit. Natürlich sprachen zwei Dinge gegen einen Angriff. Zum einen kamen auf einen meiner Männer drei bis vier Chinesen. Das ist kein Verhältnis, das zu einem Angriff animiert. Zum anderen hatte ich den Befehl, Feindberührung zu vermeiden, bis ich meine Einheit mit der Ersten und der Dritten vereinigt haben würde, wo Blaxland dann selbst den Oberbefehl übernehmen würde.
Aber mir erschien die Lage einfach zu günstig. Das Lager der Chinesen befand sich in einer Talmulde, die hufeisenförmig von Hügeln umgeben war und auf der Oberseite des Hufeisens vom Fluss begrenzt wurde. Der Feind saß also in der Falle.
Ich betrachtete die Waffen der Chinesen. Sie waren wie im Mittelalter ausgerüstet, mit Lanzen und Bögen. Außerdem zählte ich ein paar Gewehre, aber das waren alte Vorderlader. Meine Einheit hingegen war mit modernen Dreyse-Zündnadel-Hinterladern ausgerüstet.“ Ich sah Dong an. „So ein moderner Hinterlader hat gegenüber den alten Vorderladern eine Menge Vorteile.“
„Ja?“, fragte der Wirt.
„Ja. Ein geübter Schütze gibt mit einem Hinterlader sechs bis acht Schuss pro Minute ab. Die Chinesen mit ihren Vorderladern vielleicht dreieinhalb.“
„Man kann halbe Schüsse schießen?“, wollte Dong wissen, und ich fragte mich, ob er mich wieder auf den Arm nahm.
„Nein, kann man nicht. Ich meine damit, dass man mit einem Vorderlader für sechs bis acht Schuss zwei Minuten braucht, das macht dreieinhalb Schuss pro Minute, auch wenn es keinen halben Schuss gibt.“
„Aha“, sagte der Wirt.
„Außerdem kann man einen Hinterlader auch in Deckung nachladen. Das ist bei einem Vorderlader selten möglich.“
„So, so“, sagte der Wirt.
„Genau“, sagte ich.
„Wir kundschafteten das Gelände aus. Während wir zu unserer Einheit zurückritten, fragte mich Wilberforce: ‚Du willst doch keinen Angriff befehlen, oder? ‘
Ich antwortete ihm, das habe ich sehr wohl vor.
‚Du weißt aber, dass das eindeutig gegen unsere Befehle ist, ‘ erinnerte mich Wilberforce.
Ich sagte, ich wisse das, die Gelegenheit sei aber zu günstig.
Es seien zu viele, wandte Wilberforce ein. Ich erklärte ihm, dass der Feind höchstens fünfzig Gewehre habe, noch dazu alte Vorderlader. Wir würden sie von den Hügeln aus unter Feuer nehmen und dann, wenn sie schön mürbe seien, würden wir den Keks zerbeißen.
Unsere Männer seien Kavalleristen, keine Scharfschützen, gab Wilberforce zu bedenken, und das Tal durchmesse eine Viertelmeile. Ich sagte, mir sei das egal und er habe sowieso den wichtigsten Punkt vergessen.
Wilberforce wollte wissen, welcher das denn sei.
Ich sagte, der wichtigste Punkt sei, dass der Feind Chinese sei und wir Briten. Damit war die Diskussion beendet. Ich wusste, Wilberforce war nicht meiner Meinung und hätte sich lieber an unsere Befehle gehalten. Aber ich wusste auch, dass er sich nie gegen mich stellen würde, wenn ich
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