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Der Kristallstern

Der Kristallstern

Titel: Der Kristallstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda McIntyre
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Lord würde ihn rufen, wenn er bereit war, wenn die Zeit passend war.
    Tigris nutzte die Wartezeit, um über die Irrtümer nachzudenken, die er begangen hatte.
    Schließlich, als Tigris’ Knie schon zu schmerzen begonnen hatten, schwang Lord Hethrirs Tür auf. Tigris spürte das Gewicht von Hethrirs Blick auf seinen Schultern. Er hob den Kopf und sah Hethrir in die Augen.
    »Du hast länger gebraucht als nötig«, sagte Hethrir.
    »Ja, Lord Hethrir.«
    Einen Augenblick lang, einen einzigen Augenblick lang dachte Tigris daran, zu lügen, die kleinen Kinder für die längere Zeit verantwortlich zu machen. Sie hatten opponiert und waren impertinent gewesen. Aber ihre Impertinenz hatte die zusätzliche Zeit, die verstrichen war, nicht verursacht.
    »Ich habe geirrt, Lord Hethrir. Ich habe sie Ihrem Wunsch entsprechend instruiert, aber länger mit ihnen geredet, als erforderlich war. Ich war… schwach und töricht.«
    Hethrir ragte vor ihm auf. Er zeigte keinen Ärger. Er zeigte nie Ärger. Tigris fragte sich, ob er jemals Ärger verspürte oder ob sein Geist für einen solchen Makel zu weit fortgeschritten war.
    »Du enttäuschst mich, Tigris«, sagte Hethrir.
    Tigris spürte die Enttäuschung. Er war von sich selbst enttäuscht. Er stellte Hethrir nie zufrieden; er versagte jedesmal.
    »Aber du hast deinen Irrtum eingestanden, und deshalb will ich dir eine weitere Chance geben. Steh auf.«
    Tigris gehorchte. Hethrir kehrte in sein Gemach zurück, warf dann einen ungeduldigen Blick über die Schulter.
    »Komm mit!«
    Erstaunt folgte Tigris Hethrir. Hethrir lud ihn selten ins Innere ein. Er fühlte sich unerhört geehrt, in den wunderschönen Empfangsraum gelassen zu werden, in diesen Raum mit dem dicken, gemusterten Teppich auf goldenen Fliesen, den polierten Naturholzwänden, den gewölbten Lichtröhren, die Dessins an die Decke zeichneten.
    Anakin, das kleinste neue Kind, saß still mitten auf dem Teppich. Die Energie des Jungen hatte sich seit Tigris’ letzter Begegnung mit ihm stark vermindert. Er hatte wieder angefangen zu leuchten – ein schwach flackerndes Licht.
    »Du hast deine Schwäche eingestanden«, sagte Hethrir erneut. »Das wird dir helfen, den Weg zur Stärke zu finden. Ich will dir vergeben. Was hältst du von diesem Kind?«
    Tigris betrachtete den kleinen Jungen.
    »Er könnte sehr stark sein«, sagte er. »Sein Licht leuchtet. Sie haben ihn in einen Schleier gehüllt.«
    Hethrir nickte. »Eine adäquate Beobachtung.«
    Das Kompliment erfüllte Tigris mit Entzücken. Es war nicht direkt ein Kompliment gewesen, aber doch so ziemlich die größte Anerkennung, die er jemals von Hethrir bekommen hatte. Endlich einmal hatte er sich nicht die Mißbilligung seines Meisters zugezogen!
    »Ich danke Ihnen, Lord Hethrir.«
    »Ich werde ihn läutern lassen«, sagte Hethrir.
    »Läutern lassen?« antwortete Tigris, zu überrascht, um an seinen Status zu denken.
    Dieses Kind in der Imperiumsjugend? dachte Tigris. Wenn mein Lord dieses Kind zur Läuterung präsentiert, warum präsentiert er dann nicht auch mich?
    »Mein Lord, er hat keine Ausbildung… Er ist kein Proktor, er ist nicht einmal ein Helfer…«
    Hethrir blickte ihn nur an, ohne Ärger zu zeigen oder einen Kommentar abzugeben.
    »Ich werde dieses Kind zur Läuterung bringen«, sagte Hethrir erneut, so als ob Tigris nie etwas gesagt hätte.
    »Überbringe den Helfern meine Botschaft: Sie sollen mein Schiff vorbereiten.«
    »Ja, Lord Hethrir«, flüsterte Tigris.
    Tigris erhob sich, zögerte.
    Lord Hethrir kann den Empfang morgen früh nicht vergessen haben, dachte er. Prüft er mich wieder? Ich sehne mich danach, ihm auf andere Weise als durch das Überbringen von Botschaften dienen zu können. Ich sehne mich danach, mir das Anrecht auf die Läuterung verdienen zu können. Ich fürchte mich nicht vor der Gefahr!
    Vielleicht, dachte Tigris, glaubt Lord Hethrir, daß ich den Empfang vergessen habe. Vielleicht hält er meine Hoffnungen für so hochfahrend, daß ich darüber meine Pflichten vergesse.
    »Ist ein Mitglied der Imperiumsjugend gegenwärtig, mein Lord?«
    »Gewiß nicht. Sie arbeiten alle für das Neugeborene Imperium und unterminieren die Neue Republik.« Lord Hethrir klang ungeduldig.
    »Soll ich dann den Oberproktor bitten, mit Ihren Gästen zu verhandeln?« fragte Tigris.
    »Meine Gäste…?« erwiderte Hethrir. »Der Oberproktor?«
    »Morgen früh, Sir.«
    Hethrir schwieg einen Augenblick.
    »Ich würde es ebensowenig dem Oberproktor

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