Der Kristallstern
Verantwortlichkeit gescheut und nur ihren Launen nachgegeben. Sie war außerordentliche Risiken eingegangen. Lange Zeit hatte Han geglaubt, daß sie die Aufregung nur suchte, weil sie Spaß daran hatte. Unbeschwert hatten sie gemeinsam die Risiken auf sich genommen und die Aufregung genossen.
Schließlich hatte Han festgestellt, daß es sie nicht kümmerte, ob sie überlebte oder starb. Den Grund dafür hatte er damals nicht verstanden.
Aber jetzt verstand er ihn.
Xaverri hatte ihr Leben gegen die Chance gesetzt, die hohen Offiziere des Imperiums überlisten und abschütteln zu können. Sie hatte immer gewonnen.
Han hatte sich in jenen berauschenden Zeiten des nervenkitzelnden Schreckens gefragt, ob sie gewann, weil es sie nicht kümmerte, wenn sie verlor. Wenn sie verlor, würde sie sterben und ihren Schmerz hinter sich lassen. Wenn sie gewann, linderte die geglückte Revanche den Schmerz ein bißchen.
Sie hatte sich verändert. In den alten Zeiten hatte sie sich hinter Make-up, teuren Kleidern und Juwelen versteckt. Sie hatte den goldenen Glanz ihrer Haut verstärkt und die runden Linien ihres glatten Gesichts maskiert. Sie hatte das weiche Braun ihrer Augen unter Regenbogenhautverschönerern aus transparentem Silber, schreiendem Grün oder fremdartig facettiertem Diamant verborgen.
Aber ihre Schönheit und ihre Ausstrahlung hatten immer hinter der Maske der Verfälschung hervorgeleuchtet. Jetzt versteckte sie sich hinter nichts mehr, aber ihr Wesen strahlte genauso stark. Han hätte ein Bild von ihr nicht erkannt. Aber ihre Stimme war dieselbe – und ihre Kraft.
»Woher hast du gewußt, daß ich es bin?« fragte er.
»Wieso sollte ich nicht?« fragte Xaverri zurück. »Ich habe dir die Botschaft geschickt.«
»Warum hast du nicht gesagt, daß du es bist? Warum hast du keine Sprache benutzt, die ich kenne?«
»Weil ich nicht wollte, daß die Botschaft leicht zu entziffern ist.« Sie machte eine Pause. »Und… ich wußte nicht, ob du antworten würdest, wenn du wüßtest, daß die Botschaft von mir kommt.«
Han wollte protestieren, schwieg dann aber.
Sie könnte recht haben, dachte er. Ich schäme mich, es zugeben zu müssen, aber sie könnte recht haben.
»Zuerst habe ich dich nicht erkannt«, räumte sie ein. Sie berührte seinen Bart. »Aber als du etwas sagtest…«
Han fühlte sich in die alten Zeiten zurückversetzt, als seine und Xaverris Gedanken mit unheimlicher Präzision einem Spiegelbild entsprachen.
Er konnte diese alten Zeiten nicht direkt ansprechen, überrascht vom Aufruhr seiner Gefühle und der Heftigkeit seines Schmerzes.
»Was hast du in all den Jahren gemacht?« fragte er. »Was hast du in der Republik gemacht – jetzt, da all die Vertreter des Imperiums nicht mehr da sind?«
»Sie sind noch da, Solo«, sagte sie.
Sie hatte ihn immer Solo genannt. In der Gesellschaft, in der Xaverri geboren war, kam der Rufname an letzter Stelle, nach einer langen Liste von Vorfahren. Sie hatte angenommen, daß sein Rufname Solo war, daß er einer niedrigeren Klasse entstammte oder ein Waisenkind war, das nur einen einzigen Vornamen besaß. Als sie die Sache geklärt hatten, war sie schon daran gewöhnt, ihn Solo zu rufen, und er war daran gewöhnt, darauf zu hören.
»Sie sind noch da. Einige – einige, gegen die du gekämpft hast – sind tot. Aber viele verbergen sich hinter der Maske der Respektabilität, warten ab und arbeiten für das Scheitern und den Fall deiner Regierung. Sie warten auf ihre Chance.«
»Da können sie lange warten«, sagte Han.
»Ich hoffe es. In der Zwischenzeit sind sie so gierig und böse, wie sie immer waren. Und sie sind empfänglich für Versuchungen, wenn ich ihnen mehr Reichtum anbiete.« Ihr Lächeln war heiter und gnadenlos. »Sie sind jetzt sogar verwundbarer, weil sie ihre Macht verloren haben. Sie wagen nicht, die Aufmerksamkeit eurer Behörden auf sich zu lenken. Ich spiele ihnen übel mit, und sie können sich nicht beschweren.«
Han lachte. Er stellte sich vor, wie die arroganten Imperiumsbeamten, die er gekannt hatte, vor Angst und gebeutelt von Xaverris Raubzügen ganz klein und häßlich aussahen. Dann wurde er wieder ernst.
»Du solltest mir sagen, wer sie sind«, sagte er. »Wer sie angeblich sind. Damit sie die Neue Republik der Gerechtigkeit ausliefern kann.«
»Meine Gerechtigkeit ist härter«, sagte Xaverri. »Und befriedigender. Wenn ich genug Vergeltung geübt habe, werde ich dir die Namen derjenigen, die ich gedemütigt und an den
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