Der Kronrat (German Edition)
jungen Stadt in den Neuen Reichen, als weithin geachteter Schmied mit Frau und Kindern lebte. Die Varländer, hatte er mir erklärt, besaßen eigene Vorstellungen von Gerechtigkeit. Das Land und das Leben im Norden waren rau, die alten Traditionen und Gesetze spiegelten das wieder.
»Eis und Schnee verzeihen keine Fehler«, hatte Ragnar mir erklärt. »Man muss zusammenhalten, und jeder muss seinen Teil leisten. Wenn sich jemand drückt oder einen gar im Stich lässt, ist das ein Vergehen, das nicht verziehen werden kann. Ein einzelner Mann kann leicht viele gefährden.«
Dennoch, auch wenn Angus selbst sich schuldig fühlen mochte, in meinen Augen war er es nicht.
Weit war es nicht bis zu dieser Taverne, einfach aus dem Haupttor heraus, ein Stück des breiten Wegs hinunter in Richtung Hafen, dann lag sie auf der rechten Seite. Serafine hatte recht behalten: Die Taverne existierte also tatsächlich noch, wenn auch das Haus wenig Ähnlichkeit mit dem hatte, das Serafine mir beschrieben hatte.
Lautes Gelächter ließ mich aufsehen. Hier, so nah an der Zitadelle, gab es immer durstige Soldatenkehlen, die es nach einem Trunk verlangte. Auch jetzt, vor Dienstschluss, war die Taverne gut besucht.
Hier in Askir war alles größer, als ich es kannte, auch die Tavernen. Der Raum mochte bestimmt dreißig Schritte breit und fünfzig lang sein und besaß nicht nur eine Theke, sondern deren zwei. Alle Fenster waren geöffnet, aber die an den Seiten gaben nur Ausblick auf gemauerte Wände, so schmal waren die Gassen links und rechts des Gebäudes.
Es reichte, um etwas kühle Luft in den Raum zu lassen. Überall saßen Soldaten in Uniformen herum, fast ausschließlich Bullen; einige trugen sogar noch ihren Plattenpanzer.
Die Männer und Frauen spielten Karten, würfelten oder spielten Lochball, ein Spiel, das sogar ich kannte, bei dem man auf fünf Schritt Entfernung kleine Holzkugeln durch Löcher in einen Kasten an der Wand schnippte. Es war lärmend laut, doch die Stimmung war gut, und auf den ersten Blick sah ich niemanden, der volltrunken war. Gut ein Dutzend Dienstmägde kümmerten sich um das Wohl der Gäste, stemmten große Tabletts mit Bierhumpen oder gut gefüllten Essensplatten. Beim Anblick eines saftigen Bratens meldete sich dann auch mein Magen mit einem heftigen Grollen.
Ich berührte leicht Seelenreißer, und für einen kurzen Moment überlagerte sich das Bild vor mir mit einem anderen. Es war nicht so, dass Seelenreißer die Farben anders malte als meine Augen, das Schwert nahm nur anders wahr und ergänzte das Bild. So konnte ich erkennen, dass der Soldat, der dort schweigsam an einem Tisch saß, in seiner Seite eine schwere Wunde hatte, die nur langsam heilte, oder dass die Frau dort am Tisch, obwohl sie lachte, traurig war … und anderes, das ich meist nicht recht deuten konnte.
In Seelenreißers Wahrnehmung gab es Menschen, die mir deutlicher vor Augen standen als andere. Serafine gehörte dazu sowie drei weitere Soldaten, die im Raum verstreut saßen, doch am deutlichsten erschien mir das Pärchen dort hinten in der Ecke nahe einem der Fenster.
»Schau, wer auch hier ist«, meinte Serafine und zog mich leicht am Arm, um dann zielsicher auf das Pärchen Kurs zu nehmen, wobei sie die anerkennenden Blicke der Soldaten oder vereinzelte Pfiffe ignorierte.
Es waren Santer – er trug diesmal keine Rüstung – und eine junge Frau mit einer wilden roten Mähne in einem einfachen Gewand. Sie bemerkte uns zuerst und stieß ihren Begleiter in die Seite, um ihn auf uns aufmerksam zu machen. Er nickte uns zu, sagte etwas zu ihr, sie lächelte und hob die Hand, um uns an ihren Tisch zu winken.
Santer erhob sich, während die Sera sitzen blieb, und stellte uns vor. »General Roderic von Thurgau. Helis aus dem Haus des Adlers in Gasalabad. Desina, Prima des Turms.«
Ich stutzte überrascht, und die junge Frau lachte leise.
»Psst!«, sagte sie, während sie mit der Hand auf die freie Bank wies. »Wir sind gar nicht hier. Wenigstens nicht offiziell. Wir erlauben uns nur eine kleine Pause.« Sie bedachte meine neue ranglose Rekrutenjacke mit einem erheiterten Blick. »Ich sehe, General, Ihr seid klug genug, es uns gleichzutun.«
Serafine und ich setzten uns und bedankten uns für die Einladung, während Santer den Arm hob und die Aufmerksamkeit der Schankmagd auf sich lenkte, die sofort heraneilte.
»Ich hoffe, es gibt gute Weine in Askir«, sagte ich, während ich meine Jackentasche nach meiner Pfeife
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