Der Kronrat (German Edition)
öfter plagten. Vorsichtig löste ich mich von Leandra, rollte mich zur Seite und stand auf. Lange konnte ich nicht geschlafen haben, denn es war noch vor der sechsten Glocke. Drei Kerzen hatte Leandra noch bis zu ihrem Termin mit der Prima der Eulen. Ich entschied, sie schlafen zu lassen und einem der Soldaten den Auftrag zu geben, an die Tür zu klopfen, wenn es Zeit war.
5. Die Eule
Ich ging eine Tür weiter und klopfte dort an, doch niemand öffnete. An Serafines Tür war ich erfolgreicher; sie hielt ein Buch in der Hand, das sie wohl gerade gelesen hatte. »Wo sind die anderen, Helis?«, fragte ich, als sie mich hereinbat.
»Zokora und Varosch sind zum Tempel des Boron gegangen. Sieglinde sagte, sie wollte sich auf dem Markt etwas umsehen. Und ich … nun …« Sie hielt das Buch hoch. »Es ist eine Weile her, dass ich dieses Buch gelesen habe.«
»Was ist es?«, fragte ich neugierig.
»Eine Sammlung alter Legenden und Geschichten. Stabsobrist Orikes hat sie mir geliehen. Ich wollte etwas nachschlagen.« Sie legte das Buch zur Seite. »Wo ist Leandra?«
»Sie schläft. Zur siebten Glocke hat sie ein Treffen mit der Prima des Turms.« Ich berichtete ihr von der Zusammenkunft mit dem Kommandanten und wie er auf meine Frage nach dem Ring reagiert hatte, und sie lachte leise.
»Ich möchte seinen Posten nicht haben. Kein Wunder, dass er kurz angebunden ist. Bedenke, was alles auf ihm lastet. Hat er dich eingeschüchtert, Havald?«
»Vielleicht«, gab ich nach kurzem Zögern zu. »Aber ich weiß nicht, wie es ihm gelungen ist, denn so leicht bin ich nicht zu verschrecken.« Mir kam ein Gedanke, und ich lachte. »Ich stelle mir gerade vor, wie Zokora und er aufeinandertreffen …«
»Besser nicht«, meinte sie. »Also sieht es aus, als hätten wir uns die Beine ausgerissen, um hierher zu kommen − und jetzt erst einmal nichts zu tun.«
Ich lachte. »So ist es eben beim Militär: Schnell, schnell, und dann warte hier! Der Obrist sagt, dass man erst einmal alles Wissen zusammenfassen müsse, um dann zu entscheiden, was zu tun sei. Dann wird man auf uns zurückkommen.«
»Verständlich, aber irritierend. Was hast du nun vor, Havald?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich mit einem Schulterzucken. »Angus bat mich, auf ihn zu trinken, und ich denke, ich suche mir eine gute Taverne, um genau das zu tun. Oder ich schaue mich in Askir etwas um. Orikes hat uns dazu eingeladen.«
»Darf ich dich begleiten? Ich habe vorerst genug gelesen.«
»Du kennst die Stadt, du könntest mir die Sehenswürdigkeiten zeigen«, schlug ich vor.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin hier noch fremder, als du es bist. Es hat sich vieles geändert. Einige alte Bauten erkenne ich wieder, aber vieles ist neu und unbekannt für mich.« Sie sprang von ihrem Stuhl auf und tippte mir gegen die Brust. »Besser, wir besorgen dir eine andere Jacke. Sonst gibt es noch einen Auflauf, weil der General der Zweiten Legion gesehen wurde.«
»Gut«, sagte ich. »Das erscheint mir vernünftig. Nur woher?«
»Das Problem ist leicht zu lösen.« Sie trat an mir vorbei durch die Tür auf den Gang und wandte sich an eine der Wachen vor der Tür.
»Der General benötigt eine Uniformjacke ohne Legionsnummer und Dienstgrad, damit er nicht auffällt. Könnt Ihr aushelfen?«
»Die Jacke eines Rekruten?«, fragte der Soldat zweifelnd und Serafine nickte. »Nun, es sollte sich einrichten lassen«, meinte der Mann. »Wir kümmern uns darum.«
»Siehst du«, lachte sie und zog die Tür wieder hinter sich zu. »Man muss nur fragen. Übrigens weiß ich auch, wo wir anfangen können. Als Erstes sollten wir die Ohren aufsperren und hören, was man sich beim Bier erzählt. Es gab einst eine Taverne nicht weit vom Haupttor; wir können nachsehen, ob es sie noch gibt. Lass uns dort auf Angus anstoßen und zugleich hören, was man sich so erzählt.« Sie grinste breit. »Es schadet nie, den neuesten Tratsch zu kennen.«
Die neue Jacke war etwas zu klein und spannte über der Brust, doch Serafine lachte nur und erklärte mir, dass das den Eindruck nur verstärkte … Die erste Uniformausgabe, erklärte sie, sei oft von Fehlgriffen geprägt. Auf diese Art, meinte sie, würde ich wohl kein Aufsehen erwecken. »Wenigstens nicht mehr als üblich«, fügte sie schmunzelnd hinzu.
Sie schien überraschend wohlgemut, aber als sie Angus erwähnte, lag ein Schatten über ihrem Blick. Ich hatte einen Freund, Ragnar, einen Nordmann, der in Coldenstatt, einer
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