Der Kugelfaenger
bekanntes hier, der dir zusieht?“
„Nein.“
Außer Tom. Aber der zählt nicht.
„Okay“, meint Valentina. „Dann konzentrier dich bei deinem Auftritt einfach nicht auf das Publikum und die Tatsache, dass dir weltweit mehrere Millionen Menschen zusehen, sondern denk einfach an etwas ganz anderes“, rät sie.
Ach … okay … guter Tipp.
„Danke“, sagt Evelyn. „An was wirst du denken?“
Valentina lächelt und zieht an ihrer Zigarette. „An meinen Sohn“, sagt sie. „Er ist eins. Ein süßer kleiner Kerl.“ Ihr Lächeln wird immer breiter. Sie zieht ein verknittertes Foto aus ihrer Zigarettenschachtel und hält es Evelyn hin. Darauf ist ein kleiner Junge zu sehen, der ebensolche hellen Haare hat wie seine Mutter. Dazu hat er eine kleine Stupsnase, rote Wangen und große Kulleraugen. Wirklich süß.
„Wie lange bist du schon im Modegeschäft tätig?“ Evelyn gibt ihr das Bild zurück.
Valentina tritt ihre Zigarette am Fußboden aus und holt eine Neue hervor. „Ach, noch nicht so lange“, sagt sie unbestimmt. „Ich stehe heute das erste Mal auf einem internationalen Laufsteg. Bis jetzt bin ich in Moskau nur auf kleineren Veranstaltungen aufgetreten.“
„Oh“, sagt Evelyn. Was anderes fällt ihr nicht ein. Das hat sie jetzt nicht erwartet.
„Am meisten nerven mich die Castings. Vor allem, wenn dich keiner haben will. Alle sagen sie „Super“ und „Toll“ zu dir, aber nehmen tun sie dich am Ende doch nicht. Das kann dich ganz schön runterziehen, wenn das eine Weile so geht“, sagt Valentina. „Und du?“, fragt sie dann. „Wo warst du bis jetzt schon überall?“
Evelyn grübelt kurz. „Ach … Schon so auf einigen Laufstegen. Mailand, Paris … London – ehm – Madrid … und so.“
Valentina sieht sie beeindruckt an. „Wow. Toll. Und New York?“
Evelyn schüttelt den Kopf. „Nein. Leider noch nicht.“
„Ach … Ich würde so gerne in New York laufen“, träumt Valentina vor sich hin und zieht an ihrer Zigarette. „Ich hoffe, dass ich das mit meinem heutigen Auftritt schaffe. Die nächste New Yorker Modenschau ist schon im September.“
Dann kommt Trixi, das Biest daher und brüllt die beiden an, dass sie keine Zeit haben, um sich hier mal kurz nett zu unterhalten.
Evelyn verdreht gekonnt die Augen – eine Angewohnheit, die erstaunlich gut die Gefühle ausdrücken kann, die man momentan empfindet.
Valentina lässt einen russischen Fluch vom Stapel und tritt mit ihren mega High Heels die Zigarette aus. „Diese Trixi geht mir auf die Nerven“, sagt sie. „Das ist hier alles so wahnsinnig unorganisiert.“
„Kannst du mir Geld leihen, Valentina?“, fragt Evelyn. „Ansonsten komme ich nicht mehr nach Hause.“
„Klar“, sagt Valentina sofort und zieht drei Scheine aus ihrer Bademanteltasche. „Ich kann dir siebzig Euro geben“, sagt sie. „Euro sind doch okay, oder?“
„Danke“, sagt Evelyn und ringt sich ein Lächeln ab. Sie bettelt nicht gerne um Geld. „Euro sind perfekt.“
„Schön“, sagt Valentina und lächelt. „Dann lass uns mal das
ganz
große Geld verdienen gehen.“
***
Mel hängt teilnahmslos in ihrem Sessel (Teilnahmslos deswegen, weil sie nicht damit gerechnet hat, dass sich Antidepressiva und Valium nicht besonders gut vertragen.) und lässt sich von Cliff behandeln (Die scheiß Haare wollen auf die Schnelle ihre rote Farbe einfach nicht ändern und die Sommersprossen sind trotz einer meterdicken Schicht Make-up noch immer da.).
Erst fast im allerletzten Moment bemerkt irgendjemand, dass sieben Models die falschen Sachen zum Anziehen bekommen haben, was auch Evelyn betrifft. Also tauscht sie die Korsage, die sie sowieso total unbequem findet, mit einem sexy schwarzen Body. Damit ist sie sehr zufrieden. Sie hat es nicht gewagt zu meckern.
Der Adrenalinspiegel steigt, der Atem wird schneller, die Handflächen werden feucht, das Blut pulsiert in den Schläfen, die Kniescheiben beginnen zu zittern, der Puls verdoppelt sich, die Herzschläge nehmen kontinuierlich zu.
Evelyn hat sich vorgenommen, nicht nervös zu sein. Nein, sie ist nicht nervös. Sie hat nur eine Heidenangst.
Sitzt dieser verdammte Body richtig?
Na ja, wird schon passen.
Ist der Bauch auch schön flach?
Was ist mit dem Make-up? Hoffentlich ist es nicht verschmiert!
Passt der Lippenstift auch wirklich zu den Haaren? Oder doch eher zu den Augen?
In welcher Reihenfolge müssen wir eigentlich raus auf den Laufsteg?
Hmmm.
Ach ja. Zuerst
Weitere Kostenlose Bücher