Der Kugelfaenger
… aber …“
„Ich brauche nur ein bisschen was“, sagt sie abwesend. „Ich habe keinen Penny dabei.“
Cliff macht ein bedauerndes Gesicht. „Das tut mir jetzt wirklich leid, aber ich habe im Moment selbst nichts dabei. Aber wenn Sie-“
Evelyn tätschelt ihm die Schulter. „Schon gut.“
„Sicher?“
„Ja.“
Da quetscht sich ein dürres Mädchen mit einer Federboa um die Schultern an ihr vorbei und rammt Evelyn den Ellenbogen in den Rücken.
„Sorry“, murmelt sie abwesend und ist schon wieder zwischen anderen Models verschwunden.
Im nächsten Augenblick taucht auch schon die Verantwortliche von diesem Chaos auf: Trixi. (Sie ist eine unglaublich schlecht gelaunte Person, die ihre Untergebenen ununterbrochen anschnauzt und ihnen mit ihren Sonderwünschen das Leben schwer macht. Des Weiteren ist sie eine der Chefdesignerinnen des Unterwäschelabels und ist für ihre berüchtigten Tobsuchtsanfälle und ihre zahllosen Affären mit Promi-Männern, weit über Großbritanniens Grenzen hinaus bekannt. Einfach eine alte Hexe.)
Trixi beginnt auch sofort loszumeckern: „Was ist denn hier los? Du da, warum bist du noch nicht umgezogen?“ Damit meint sie Evelyn.
„Ich weiß nicht, was ich anziehen soll. Meine Sachen sind nicht da.“
Trixi sieht sie mit einem vielsagenden „Du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank-Blick“ an. „Sag mal, wie alt bist du eigentlich? Deine Sachen müssen hier sein“, sagt sie. „Mach doch einfach mal deine-“ Da kneift sie plötzlich die Augen zusammen. „Außerdem … Wie siehst du denn eigentlich aus?“ Trixi nimmt ihr Kinn zwischen zwei Finger, hebt es unsanft an und begutachtet ihr Gesicht eingehend. „Ist jemand über dich hergefallen?“
„So ähnlich“, sagt Evelyn ausweichend.
„Und was zum Teufel hast du mit deinen Nägeln angestellt?“ Sie betrachtet Evelyns missglückten Versucht, ihre Fingernägel zu lackieren. Der Lack ist teilweise abgekratzt.
Trixi sieht sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Na gut. Lass dich endlich schminken und dir die Nägel machen. CLIFF! Komm
sofort
her! Was denkt du, für was du bezahlt wirst?!“
Doofe Kuh.
„Und was deine Bekleidung betrifft-NEIN SUZ, ICH HABE DICH NICHT INS PROGRAMM GENOMMEN!!!“ Trixi haut mit ihrem Klemmbrett, das sie vor sich herträgt, stocksauer auf einen Berg Klamotten. Das zarte, zierliche Mädchen, das sich ihr ehrfürchtig genähert hat, zuckt erschrocken zurück. Es ist anscheinend das erste Mal, dass sie Trixi so erlebt.
Trixi dreht sich wieder um und sieht auf den Zettel auf ihrem Klemmbrett. „Wie heißt du?“
„Evelyn.“
Trixi sieht sie an. „Wir haben hier zehntausend Evelyns, weißt du? Also sag mir deinen ganzen Namen.“
„Evelyn Williams.“
Trixi schüttelt den Kopf. „Du hast das da“, sagt sie dann und zerrt irgendwo eine schwarze Korsage mit einem ebenfalls schwarzen Slip hervor und drückt sie Evelyn in die Arme.
„UND JETZT BEEILT EUCH ENDLICH ALLE MAL!!!“, kreischt sie, als sie den Raum verlässt.
***
Eine der zahllosen Stylistinnen steht hinter ihr und müht sich damit ab, sie in die Korsage zu schnüren, sodass sie tadellos sitzt.
„Hast du zugenommen, Schätzchen?“, fragt sie spitz.
„Sie würden schon dreimal nicht reinpassen“, sagt Evelyn und betrachtet ihre eigene dürre Figur im Spiegel vor ihr.
Die Stylistin zerrt die Korsage als Antwort auf Evelyns freche Erwiderung so fest zusammen, dass sie nach Luft schnappen muss und glaubt, ihre Rippen knacksen zu hören.
„So, das war’s“, sagt die Frau. „Passt.“ Dann ist sie schon wieder weg.
Evelyn hat Probleme mit dem Atmen. Sie kann kaum tief Luft holen. Das blöde Ding schnürt ihr immer mehr den Brustkorb ein. Sie versucht hinten dran zu kommen, schafft es aber nicht.
„So ein Scheiß“, flucht sie durch zusammengebissene Zähne. Ihr wird ganz heiß.
Diese blöde Kuh.
„Alles okay?“ Ein anderes Model sieht sie fragend an.
Evelyn nickt. Sie wird sich nicht dazu herablassen, ihr zu erzählen, dass ihr die Korsage die Luft zum Atmen nimmt. Sie hat auch ihren Stolz.
Sie merkt, wie sich langsam alles in ihrem Kopf zu drehen beginnt. Sie muss hier raus. Sie braucht frische Luft, bevor sie womöglich noch umkippt. Sie bahnt sich einen Weg zwischen den ganzen Menschen hindurch. Irgendwann gelangt sie an eine Hintertür und tritt erleichtert in den warmen Sonnenschein hinaus.
***
Fast zur selben Zeit, als sich Evelyn mit erheblichen Atemproblemen an die Hauswand
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