Der Kugelfaenger
er ihre Antwort ja sowieso schon kennt.
„Wo soll ich denn hin?“, sagt sie. Die Krankenschwester hat es geschafft, ihr die Hand einzubinden, nun desinfiziert sie ihr noch die Wunde an der Stirn und klebt ein breites Pflaster darüber.
Tom sieht sie prüfend an. Evelyn merkt das. „Was?“, sagt sie wenig charmant.
Seine Augen werden schmal. „Ich frage mich, ob dein geheimnisvoller Brieffreund hinter dem Anschlag stecken könnte.“
Sie wendet ihre Augen von ihm ab und fixiert stattdessen ihre eingebundene Hand. „Nein“, sagt sie knapp.
„Warum nicht?“
Sie denkt kurz an den Mann von neulich Nacht und seine Tochter, dessen Namen sie nicht weiß. „Weil ich mir das nicht vorstellen kann.“
„Man kann sich vieles nicht vorstellen und doch ist es so“, sagt er.
„Er hat damit nichts zu tun“, sagt sie mit Nachdruck.
„Vielleicht ist es besser, du sagst mir seinen Namen und ich überprüfe das selbst.“
Evelyn lässt sich von der Liege gleiten. „Ich werde dem Arzt sagen, er soll dich noch einmal untersuchen. Ich glaube, deine Gehirnerschütterung ist doch schlimmer als gedacht“, sagt sie und lässt ihn mit dem Eisbeutel am Kopf sitzen.
***
Wenn er auch so recht wenig erreicht hat, kann Tom es zumindest einrichten, dass Catherine die Stadt verlässt – zusammen mit George. Er hat sich bereit erklärt, sie zu einer Bekannten in eine Kleinstadt unweit von London zu fahren.
Evelyn nimmt zwei Beruhigungstabletten ihrer Tante und legt sich in Toms Bett und fällt schon wenig später in einen tiefen, unruhigen Schlaf.
Tom richtet seine Überwachungsstation wieder ein, indem er die Außenkameras erneut mit seinem Laptop verbindet.
Frank Greyson hat mit seinem Wagen in der Hofeinfahrt Stellung bezogen, bewaffnet mit einem Schlagstock, dem Elektroschocker seiner Frau und einem alten Jagdgewehr und beobachtet das Haus und die Straße. Er wird in regelmäßigen Abständen schwer bewaffnet einen kleinen Rundgang um das Grundstück machen.
Möge der Liebe Gott diesem Wahnsinnigen beistehen.
19. Kapitel
Donnerstag, 22. Juli
Tom geht ins Haus. In der Küche macht er sich eine große Tasse Kaffee. Er trinkt einen Schluck von dem heißen Gebräu und füllt eine zweite Tasse voll. Dann geht er ohne die Tassen einmal durchs ganze Haus. Er kann keinen möglichen Einbrecher entdecken. Wieder in der Küche angekommen, schnappt er sich die dampfenden Tassen und verlässt das leere Haus. Die Haustür schließt er hinter sich wieder sorgfältig ab. Er wandert über den gemähten Rasen auf Frank Greysons rostigen Wagen zu.
Zuerst denkt er, Greyson sitzt gar nicht im Auto. Der Dreck an den Scheiben verdeckt zum Teil die Sicht. Doch dann entdeckt er seine Schuhe. Frank liegt quasi im Auto. Er hat es sich auf dem Fahrer-und Beifahrersitz bequem gemacht. Mit dem Kopf liegt er auf dem Fahrersitz, zwischen dem Leder und seinem Schädel liegt eine zusammengefaltete Wolldecke. Die Füße hat er ausgestreckt und bei den Knöcheln gekreuzt und sie berühren mit den Schuhsolen die Fensterscheibe auf der anderen Seite. Seine schäbige Cordjacke hat er sich fest um den Leib gewickelt und den Kragen hochgeschlagen, sodass sein Gesicht fast darin verschwindet. Neben sich am Boden steht sein Jagdgewehr und der Elektroschocker von seiner Frau ist nirgends zu sehen.
Nicht gerade die optimale Zeit, um ein Mittagsschläfchen zu halten.
Tom klopft mit dem Knöchel einer Hand, in der er seinen Kaffee hält, an die Scheibe. Greyson im Wagen zuckt zusammen, fährt hoch, greift nach dem Jagdgewehr seines Großvaters und öffnet erst zum Schluss seine grauen Augen. Mit einem zu allem entschlossenen, wilden Blick, bereit, sogar die Queen von Großbritannien zu verteidigen, starrt er zur dreckigen Scheibe hinaus. Als er aber Tom anstatt eines Bombenlegers vor sich sieht, entspannen sich seine Gesichtszüge wieder und ein freudiges Lächeln breitet sich in seinem unrasierten und ungewaschenen Gesicht aus. Er zieht seine Beine an und verstaut sie dort, wo sie eigentlich hingehören. Dann macht er für Tom die Tür auf.
„Hi.“ Tom lässt sich neben Frank Greyson in den Beifahrersitz sinken. „Alles ruhig?“, fragt er und hält ihm eine der heißen Kaffeetassen hin.
„Alles ruhig“, bestätigt Frank kurz angebunden und schließt sofort seine Finger um die Tasse und nimmt einen kräftigen Schluck. „Mm“, sagt er genüsslich und leckt sich seine Lippen. Er schlürft laut seinen Kaffee. „Eigentlich mag ich ja keinen
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