Der Kugelfaenger
genügend. Das Baby brüllt die ganze Nacht. Und Sammy macht begeistert mit, wann immer er gerade Lust dazu hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn uns der Vermieter bald vor die Tür setzt.“
„Bist du gerade in der Nähe gewesen?“, fragt Catherine sie.
Victoria nickt. „Ich war mit den Kindern bei meiner Müttergruppe.“
Laut Evelyns Meinung ist diese „Müttergruppe“ nichts anderes als eine Selbsthilfegruppe für Kindergestresste Mütter, die sich von ihren Männern vernachlässigt fühlen, sich zu Hause langweilen und jemanden brauchen, um sich mal wieder den Frust von der Seele zu heulen.
„Du könntest doch auch bei mir ablästern“, meint Evelyn.
„Das tue ich doch!“, empört sich Victoria. Dann verzieht sie ihr Gesicht leicht und meint: „Du wirst nicht erraten, wer mich heute angerufen hat, Evy.“
„Muss ich unbedingt raten?“, brummt Evelyn.
„Deine Agentin hat mich angerufen“, sagt Victoria triumphierend.
Evelyn zieht eine Augenbraue hoch. „Tilda Burke, diese dumme Gans?“
„Ja, genau,
diese
dumme Gans. Sie kocht vor Wut wegen deinem Benehmen bei dieser Castinshow letzten Montag. Und die Tatsache, dass du zwei Tage später in Paris nicht gelaufen bist, hat die ganze Sache auch nicht besser gemacht. Sie hat gesagt, dass ich dir mitteilen soll, dass es nichts bringt, wenn du vor ihr wegläufst oder ihre Anrufe wegdrückst oder wieder auflegst, wenn sie es über das Festnetz probiert. Und ich soll dir sagen, dass deine Tante nicht besonders überzeugend klingt, wenn sie für dich lügt.“
Catherine schnaubt verärgert. „Also diese Burke ist wirklich eine doofe Kuh.“ Wütend steht sie auf und stapft in Richtung Gewächshaus davon.
„Was hat sie noch gesagt?“, fragt Evelyn nicht sehr begeistert.
Victoria muss einen kleinen Moment überlegen. „Sie hat erzählt, dass sich dein Fitnesstrainer bei ihr beschwert hat, weil du schon seit fast einem Monat nicht mehr im Studio erschienen bist und erreichen kann er dich auch nicht. Ich soll dich fragen, ob du fett werden willst.“ Sie grinst. „Und dein Manager lässt ausrichten, dass du ihn mal kreuzweise kannst. Er hat nicht die geringste Lust, wegen dir das nächste Mal einen Herzanfall zu bekommen, anstatt eines Tobsuchtsanfalls. Er wünscht dir alles Gute und hofft, dass du deinen nächsten Manager nicht auch noch in den Wahnsinn treibst.“
„Blöder Idiot“, sagt Evelyn. „Gibt’s sonst noch was?“
„Nein“, sagt Victoria. Dann ist es still. Sie reibt mit einem Finger über den Tassenrand. „Du wirst aber schon zur Berliner Fashion Week kommen, oder? Evelyn? Du wirst doch kommen, nicht?“, redet Victoria auf ihre Freundin ein. Aber Evelyn zögert einen Moment. Das ist Victoria ein Zögern zu viel. „Evelyn! Du
musst
dort auftreten! Du hast Paris schon sausen lassen.
Tilda bringt dich sonst um
.“ Und etwas sanfter fügt sie noch hinzu: „Sich schämen ist ja gut und schön, aber irgendwann musst du wieder aus der Versenkung auftauchen. Die Presse wird langsam ungeduldig. Und Berlin wäre der geeignete Moment dafür.“
„Und was ist, wenn ich das gar nicht will? Ich habe mich letzte Woche so verdammt blamiert, dass ich nicht einfach so tun kann, als hätte ich mich nie wie eine komplette Vollidiotin aufgeführt. Und weißt du, Vicky, ich habe festgestellt, dass es nämlich ganz schön ist, einmal keinen Stress zu haben. Sich einfach mal auf die Couch zu werfen, bis Mittag schlafen oder im Blumenbeet abzutauchen. Ohne Kameras, Mikrofone oder Millionen Augen, die dich permanent anstarren“, sagt Evelyn trotzig. „Es ist sehr schön hier. Niemand kennt mich, niemand weiß, dass ich hier bin. Ich habe meine Ruhe vor dem Rest der Welt. Ich kann im Moment tun und lassen was ich will. Ich kann ungekämmt die Zeitung ins Haus holen. Ich kann im Schlafanzug durch den Garten flitzen. Ich kann eine Woche ungeduscht vor mich hin gammeln und niemanden interessiert es. Das finde ich schön. Warum denkst du, dass ich ausgerechnet
jetzt
wieder an die Öffentlichkeit will? Um mir blödsinnige Fragen zu meinem Ausraster anzuhören?“
„Weil du hungrig bist“, sagt Vicky, „weil du hungrig bist auf alles, was da draußen auf den Laufstegen passiert. Weil du die Schnauze voll hast von deiner Tante, die wie ein kleines Kind an dir dranhängt. Vielleicht weißt du das gar nicht, aber tief in dir drin möchte alles einfach nur weg von hier, so schön es hier auch sein mag. Und weil du weißt, dass du beruflich
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