Der Kugelfaenger
Kieselsteinen. Aber er war nicht wirklich boshaft oder gewalttätig. Er war ein lieber Junge. Trotzdem haben seine Eltern Erklärungsversuche der Angst ihres Sohnes schon recht schnell wieder aufgegeben. Heute genügt schon der bloße
Gedanke
an ein Huhn, um ihm den Schweiß auf die Stirn zu treiben.
Toms Magen knurrt. Soll er hier stehen bleiben und warten, bis sich das Huhn einmal dazu bequemt, die Tür zu räumen? Bis dahin ist er vermutlich schon verhungert. Er beschließt, hinaus zugehen und das Vieh mit irgendwas zu verscheuchen. Er dreht sich zur Tür. Seine Hand wandert langsam zur Türklinke. Er drückt sie ein paar Millimeter hinunter.
Halt, Moment mal! Fehlt da nicht was?
Tom lässt die Klinke mit einem Ruck los. Sie springt wieder zurück. Seine Füße tragen ihn zum schmalen Bett zurück. Er beugt sich über seinen Nachttisch und sucht nach seiner Waffe. Sie ist nicht darauf, darunter und auch nicht in der Schublade. Schließlich findet er sie unter der weißen Bettdecke.
Schon besser.
Dann geht er wieder zurück und reißt mit einem zu allem entschlossenen Ruck die Holztür auf. Die braune Henne schlägt erschrocken mit ihren Flügeln und weicht gackernd zurück. Dann bleibt sie wieder stehen und starrt Tom mit schiefgelegtem Kopf neugierig an.
„Geh weg“, sagt Tom zu dem Tier. Doch das stört die Henne nicht. Sie gibt nur einen langgezogenen gackernden Ton von sich und scharrt am Boden herum.
Tom zieht die Luft scharf ein. „Okay, du lässt mir also keine andere Wahl“, zischt er zwischen seinen Zähnen hindurch. Er nimmt die Pistole in die rechte Hand und hält sie weit von sich gestreckt auf das Vieh und fuchtelt damit vor ihm herum.
***
Evelyn erscheint mit einer Schüssel voll Kartoffelschalen in den Händen auf der Veranda. Sie stellt sie auf dem Tisch ab und rückt die Stühle zurecht. Dann geht sie wieder auf die Haustüre zu. Kurz bevor sie wieder im Haus verschwindet, sieht sie beiläufig zur Garage hinüber. Sie ist zunächst nicht besonders erfreut, als sie Tom in der offenen Tür stehen sieht. Und noch unerfreuter ist sie, als ihr Blick seine von sich gestreckten Arme entlang wandert, bis zur schwarz glänzenden Waffe in seinen Händen. Und dann springt ihr Blick auf das braune, gackernde Federvieh zu seinen Füßen. Evelyn fällt vor Schreck die Kinnlade herunter.
„Was machen Sie da mit meinem Huhn?!“, kreischt sie los.
Tom sieht sie erschrocken an. „Das ist Ihr Huhn?!“ Er schwenkt seine Pistole vor dem Tier herum.
Evelyns Füße setzen sich hektisch in Bewegung. Sie rennt über den Rasen und auf die Garage zu. „Natürlich. Und wenn Sie es genau wissen wollen: Ich habe sogar noch zwei Elefanten und einen Löwen – und den werde ich auf Sie loslassen, wenn Sie nicht sofort die Waffe runter nehmen!“
Tom hat noch immer die Pistole auf die Henne gerichtet. Er beäugt sie vorsichtig. „Dann nehmen
Sie
das Vieh weg!“, fordert er.
Evelyn sieht ihn an, als wäre er jetzt komplett durchgeknallt. Und den Eindruck hat sie wirklich. „Nehmen Sie die verdammte Waffe weg!“
„Und Sie ihr Viech!“
„Waffe runter!“
„Nein!“
„Mr. Hunt“, beginnt Evelyn mit erzwungener Ruhe, „das Tier ist völlig harmlos!“
„Und wenn doch nicht?“ In seiner Stimme schwingt eine Spur Panik mit aber er versucht cool zu bleiben.
„Nein, Bess wird Ihnen nichts tun. Das verspreche ich.“ Auch wenn ich mir irgendwie wünsche, dass sie Sie ins Bein kneift, fügt sie in Gedanken hinzu. Dann steigt sie die Treppe hoch, schnappt sich ihr Federvieh und drückt es an sich, während sie rasch die Treppe wieder hinuntergeht und sich von Tom entfernt.
„Hühner haben irgendwie so einen irren Blick. Wenn sie einen ansehen, kommt es mir immer so vor, als würden sie sagen wollen: ‚Komm mir nicht zu nahe, sonst fresse ich dich!’“, sagt Tom und lässt endgültig seine Waffe sinken.
„Meine Hühner sind nicht lebensmüde“, sagt Evelyn kühl. „Die fressen niemanden.“
„Wer weiß“, murmelt Tom und wirft einen schrägen Blick auf die braune Henne mit dem wahnsinnigen Blick.
***
Evelyn ignoriert die frischen Brötchen, die Tom beim Frühstück auf den Tisch stellt. Im Gegensatz zu Catherine. Diese überschlägt sich fast vor Begeisterung. Dann ist es wieder still. Zumindest ist Evelyn so gnädig, kein Wort über Tom und seine Hühnerphobie zu verlieren.
„Und Sie waren beim Laufen?“ Catherine bemüht sich, ein zähes Gespräch in Gang zu bringen.
Tom lässt
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