Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
gerade den Müll rausbrachte. Irgendetwas an seiner Figur und an der Art sich zu bewegen kam Fox seltsam bekannt vor. Er wartete, bis der Mann wieder auf sein Pferd gestiegen und in Richtung Dorf verschwunden war, dann ritt er vorsichtig auf die Lichtung.
Neugierig stieg er aus dem Sattel. Warum brachte jemand etwas von einem hohen Baum herunter, nur um es anschließend zu vergraben? Er kniete sich auf den Boden und begann, mit den Händen die weiche Erde aus der Grube zu schaufeln. Als Erstes fand er einen kleinen Knochen, so winzig, dass er ihn für einen Teil des Waldbodens hielt. Als er weitergrub, kam ein größerer Knochen zum Vorschein, dann ein Schädel. Fox brauchte kein Medizinstudium, um zu wissen, dass es sich hierbei um menschliche Knochen handelte. Er grub jetzt schneller, seine nackten Händen wühlten in der Erde und brachten weitere menschliche Überreste zum Vorschein: einen Oberschenkelknochen; einen Oberarmknochen; die Zehenknochen eines linken Fußes. Sie alle waren sauber und von jeglichem Gewebe befreit. Er legte die Knochen beiseite und entdeckte weitere, und immer mehr: zu viele, um aus einem einzigen Leinensack zu stammen. Er erweiterte das Loch und fand noch mehr Knochen. Alle stammten von Menschen. Entsetzt stellte er fest, dass sie unterschiedlich groß waren: Oberschenkelknochen von Männern, das Becken einer Frau, und weitere Knochen, die so klein waren, dass sie nur von Kindern stammen konnten. Die Spalten an zwei winzigen Schädeln wiesen darauf hin, dass es sich um die Knochen von Säuglingen handeln musste. Beide waren eindeutig deformiert.
Wie benommen und mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust stand er vom Boden auf. Was war das für ein Ort? Er trat zurück und betrachtete die kreisrunde Lichtung, überquerte sie mit festen Schritten von einer Seite zur anderen und spürte dabei die harte Erde unter seinen Füßen. An den Stellen, an denen der Boden ungewöhnlich weich war, schob er mit dem Fuß ein wenig von der oberen Erdschicht zur Seite und fand weitere Knochen. Fox schätzte, dass sich das flache Grab von seiner Mitte aus knapp zwei Meter in jede Richtung erstreckte und somit einen Durchmesser von etwa vier Metern hatte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Kein Wunder, dass ihm am Morgen nach dem Aufwachen alles wehgetan hatte. Er hatte auf einem Bett aus menschlichen Knochen geschlafen, die nur mit einer lockeren Schicht weicher Erde bedeckt gewesen waren.
Dieser Ort musste zum Dorf gehören. Das Land gehörte Delaney, und in einem Umkreis von vielen Meilen gab es keine anderen Menschen. Fox starrte auf die menschlichen Überreste und dachte daran, wie beiläufig der Mann den Inhalt seines Sacks in die Grube gekippt hatte. Wenn das hier der Friedhof der Indigo-Familie war, dann zeigten sie wenig Respekt vor ihren Toten. Fox schaute hinauf in die Kronen der Mammutbäume. Was hatten die Knochen dort oben gemacht? Er ging hinüber zu dem Baum, von dem der Mann heruntergekommen war, und fand den grob gezimmerten Aufzug: ein offener Holzrahmen mit einer knapp einen Quadratmeter breiten Bodenplatte. Als er nach oben blickte, sah er, dass man einen Tunnel in die Zweige geschnitten hatte, durch den der Aufzug hinauffahren konnte. Daneben hatte man einige Trittbretter an den massiven Stamm genagelt, wahrscheinlich zur Sicherheit. Soweit Fox es erkennen konnte, funktionierte die Vorrichtung über ein kompliziertes System aus Gewichten, Seilen und Rollen, die allesamt nicht sehr vertrauenserweckend aussahen. An einem Kabel im Aufzug hing eine metallene Steuerungseinheit mit zwei pfeilförmigen Knöpfen.
Fox musste schlucken. Seit er ein kleiner Junge war, litt er unter Höhenangst, und das hier entsprach seinen schlimmsten Albträumen. Aber er musste herausfinden, was sich dort oben befand. Er atmete tief durch, trat in den Aufzug und drückte den Aufwärts-Knopf. Ein leises Summen ertönte, dann ruckte das Seil und die Plattform setzte sich in Bewegung. Fox krallte sich am Holzrahmen fest, während der Aufzug in die Höhe fuhr. Der Drang, den Abwärts-Knopf zu drücken, war beinahe überwältigend. Er drehte sich mit dem Gesicht zum Stamm und betrachtete die weiche, schwammartige rote Rinde, um nicht nach unten zu sehen. Weiter oben wurde der Wind, der durch die Bäume wehte, stärker, und obwohl er kalt war, lag ein fauliger Geruch in der Luft.
Fox sah nach oben. Direkt über ihm, zu seiner Rechten, befand sich ein dicker Ast, und ein Podest ragte vom Baumstamm ab. Als
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