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Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood

Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood

Titel: Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cordy
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und ihr Vater würde seine Leute losschicken, um sie zu suchen. Sie griff in die hintere Tasche ihrer Jeans, wo das iPhone steckte, das Fox ihr gegeben hatte. Wenn es ihr gelang, irgendwo hinzukommen, wo es ein Funknetz gab, konnte sie Fox anrufen. Doch dann würde sie niemals wissen, wer sie war, sie würde sich selbst für immer fremd bleiben, ohne eine Erinnerung an ihre wahre Identität und ihre Vergangenheit. Wenn sie jetzt fortging, würde sie nie erfahren, worin das Große Werk ihres Vaters wirklich bestand und welche Rolle sie darin spielen sollte. Womöglich würde sie niemals herausfinden, warum sie ursprünglich davongelaufen war oder was mit ihrer Mutter geschehen war. Sorcha griff nach dem Medaillon um ihren Hals, und sein Verlust schmerzte so sehr, als hätte man ihr ein Bein abgenommen. Ihr Vater hatte Kaidan befohlen, das Medaillon zu ihrer Mutter in den Turm zurückzubringen. Als Sorcha gefragt hatte, ob ihre Mutter denn noch dort sei, hatte der Seher gelacht: » Deine Mutter wird für alle Zeiten im Turm sein.«
    Was hatte er damit gemeint? Was war mit ihr geschehen?
    Sorcha spürte, dass sie es herausfinden musste. Und sie musste ihr Medaillon zurückbekommen, bevor sie diesen Ort verlassen konnte. Aber wie? Als die letzten Klänge der Mittagsglocke bunte Farben vor ihren Augen tanzen ließen, hatte sie eine Idee. Es konnte tatsächlich funktionieren. In der nächsten Stunde würden alle beim Essen sein. Neue Energie durchströmte sie, und sie spürte, wie ihre Angst schwand. Sorgfältig auf Deckung bedacht, lief sie durch die verlassene Siedlung und trat aus dem grellen Sonnenlicht in den Schatten des Turms.

46
    Die drei Leichen, die vor Fox lagen, befanden sich in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Er zog ein Taschentuch hervor und hielt es sich über Mund und Nase. Zwei der Toten waren Männer: einer bereits stark verwest, der andere nur noch ein Skelett. Der Körper aber, der die Vögel angelockt hatte, gehörte einer Frau mittleren Alters, nackt bis auf ein Paar Ohrringe. Sie war gerade erst gestorben, und Fox ging davon aus, dass der Mann wahrscheinlich die Knochen von der Plattform heruntergebracht und vergraben hatte, um Platz für die Frau zu schaffen. Die verwitterte Baumspitze war von einer Kruste aus Vogelkot überzogen und schwarz von altem Blut und Eingeweiden. Fox unterdrückte den Würgereiz und trat an den Rand der Plattform, wo er das Gesicht in den Wind hielt und nach frischer Luft schnappte.
    Im Tal unter ihm lag Delaneys Dorf, das sich in die Flussbiegung schmiegte. Eine Glocke ertönte, und wie Ameisen begannen die Menschen zum Speisesaal zu strömen. Es musste Mittag sein. Während er zusah, wie die Indigo-Familie gehorsam dem Pavlovschen Signal folgte, wurde ihm klar, dass sie nichts von den Leichen im verbotenen Wald wussten. Die exponierten Toten und vergrabenen Knochen erinnerten Fox daran, was ein indischer Patient ihm einmal über die Bestattungsmethode der Parsen erzählt hatte. Als Zoroastrier glaubten die Parsen, dass ihre Körper unrein waren und die Erde nach ihrem Tod nicht durch Begräbnis oder Einäscherung verunreinigen durften. Stattdessen brachte man die Verstorbenen in die »Türme des Schweigens«, die traditionell auf hochgelegenen Bergplateaus errichtet wurden, und übergab sie den Tieren und den Elementen. Wenn die Knochen sauber gefressen und von der Sonne getrocknet und gebleicht waren, bestattete man sie in Felsgruben. Delaneys Kult, der sich wahllos bei verschiedenen spirituellen Traditionen vom Christentum bis zur Hexenkunst bediente, schien auch Elemente der parsischen Bestattungsmethode übernommen zu haben. Doch im Unterschied zu den zoroastrischen Ritualen gab es nichts Spirituelles oder Feierliches an der Art, wie die Körper hier auf diesem entsetzlichen Vogelbuffet dargeboten wurden oder wie man ihre Knochen auf der Deponie unten am Boden entsorgte. Man kann eine Gesellschaft danach beurteilen, wie sie mit ihren Toten umgeht, und trotz Delaneys Besessenheit mit dem Spirituellen schienen einige Mitglieder seines Kults nur Verachtung für ihre Toten übrigzuhaben.
    Zwei große Geier ließen sich auf der toten Frau nieder, und er verscheuchte sie mit Tritten. Als sie davonflogen, fiel ihm etwas ins Auge. Er kniete sich hin und betrachtete die tote Frau genauer. Ihr Körper war steif, und auch ihre starren Gesichtszüge zeugten von Rigor mortis. Die Totenstarre – wenn kein neues Adenosintriphosphat mehr gebildet wurde, das den Muskeln

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