Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
schrieb eine Liste. Die war zwar nicht vollständig, enthielt aber alle Ausprägungen, die ihm aus dem Stegreif einfielen. Die ersten beiden Einträge konnte er sofort abhaken. Dann schrieb er mit schwarzer Tinte ein großes A auf ein neues Blatt Papier und zeigte es ihr. » Welche Farbe hat dieser Buchstabe?«
Sie lächelte schlau, als hätte er ihr eine Fangfrage gestellt. » Sie haben es in schwarz geschrieben, aber jeder weiß, dass der Buchstabe A rot ist.«
» Immer?«
» Selbstverständlich.«
» Und das E?«
» Olivgrün.«
» Was ist mit der Ziffer 1?«
» Türkis.«
» Wissen Sie, dass sie türkis ist, oder können sie es sehen?«
» Ich sehe es.«
» Wo?«
Sie zeigte auf eine Stelle in der Luft, etwa dreißig Zentimeter vor ihrem Gesicht. » Hier.«
Faszinierend. Die ganze Geschichte wurde immer wunderlicher. Fox hakte den dritten Punkt auf seiner Liste ab: » Graphem-Farb-Syn.« Er prüfte weiter. » Was für einen Charakter hat der Buchstabe O?«
» Os sind weiblich«, antwortete sie ohne zu zögern. » Und gewöhnlich sind sie großzügig, offen und herzlich. Auch wenn sie manchmal ein wenig eigen sein können.«
» Was ist mit der Ziffer 7?«
» Die 7 ist groß und dunkel. Und männlich.« Sie kicherte, offensichtlich gefiel ihr das Spiel. » Er ist elegant, aber gefährlich.«
Er hakte den nächsten Punkt auf seiner Liste ab: » Graphem-Personifikation«. Es war unglaublich. Er nahm sein Handy aus der Tasche und spielte ihr zwei der Klingeltöne darauf vor. » Was sehen Sie?«
» Blau und Grün. Aber der letzte Ton ist gelb.«
Er zog seinen Schlüsselbund heraus und schüttelte ihn, ein disharmonisches, grelles Geräusch. » Können Sie jetzt etwas sehen?«
» Einen Klecks aus Gelb-, Rot- und Orangetönen.« Er hakte zwei weitere Punkte auf seiner Liste ab: » Ton-Farb-Syn. (schmalband)« und » Ton-Farb-Syn. (breitband)«. Dann suchte er die Taschenrechner-Funktion auf seinem Handy. » Wie gut sind Sie im Kopfrechnen, Jane?«
» Testen Sie’s.«
» Okay.« Er begann, Zahlen in sein Handy zu tippen. » Siebenundachtzig mal zweiundzwanzig, plus einundsechzig, geteilt durch elf …« Während er auf die Tasten drückte, sah er, wie sie mit dem Finger vor sich in die Luft tippte, als arbeite sie mit einem virtuellen Abakus. » … mal vierzehn, minus dreiundzwanzig, plus sechs, geteilt durch fünf Komma fünf.«
Sie verkündete das Ergebnis im selben Moment, in dem die Zahlen auf seinem Handydisplay aufleuchteten: » Vierhundertdreiundfünfzig Komma neun, drei, drei, acht, acht, vier.«
» Beeindruckend. Während Sie rechnen, können Sie da die Zahlen vor sich sehen?«
» Klar. Ich sehe sie in farbig kodierten Reihen und Spalten, die ich hin und her schiebe, um das Ergebnis zu bekommen.« Wie ein Kalkulationsbogen, dachte er und hakte auch den letzten Eintrag auf seiner Liste ab: » Sequenz-Raum-Syn.« Ihm schwirrte der Kopf. Sie sah ihn stirnrunzelnd an. » Kann das nicht jeder?«
» Nein, das kann nicht jeder.« Er schaute noch einmal auf seine Liste. » Sagt Ihnen der Begriff Synästhesie etwas?«
Sie schüttelte den Kopf. Wie die meisten Synästheten schien sie das Zusammenwirken ihrer Sinne nicht als ungewöhnlich zu empfinden, doch es war unglaublich, dass noch niemand sie daraufhin untersucht hatte. » Was ist Synästhesie?«, fragte sie nervös.
» Keine Sorge, es ist keine Krankheit, keine klassifizierte neurologische Erkrankung, und führt nur selten zu Problemen oder Behinderungen. Manche betrachten es sogar als eine Gabe. Medizinisch wird Synästhesie definiert als ein neurologisches Phänomen, bei dem die Stimulation einer sensorischen oder kognitiven Leitungsbahn zu automatischen, unwillkürlichen Reaktionen einer anderen sensorischen oder kognitiven Leitungsbahn führt. Einfacher ausgedrückt bedeutet es, dass zwei oder mehr Sinne sich überschneiden, zum Beispiel Sehen und Fühlen, Hören und Schmecken, Hören und Farbensehen, Symbole und Farbe.«
» Ist das ungewöhnlich?«
» Sehr ungewöhnlich. Etwa einer von zweiundzwanzig hat eine Form von Synästhesie. Eine der selteneren ist die Berührungs-Synästhesie, bei der die Betroffenen sehen, wie eine andere Person berührt wird oder Schmerzen erfährt, und es dann ebenfalls spüren. Zufällig weiß ich ein bisschen was darüber, denn ich habe es selbst.« Er lächelte sie an. » Und ich bin mir recht sicher, dass Sie es ebenfalls haben. Ich habe gesehen, wie Sie sich das Handgelenk rieben, als ich hingefallen
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