Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
Vom Netzwerk:
Tempel der Bourgeoisie zu profanieren und ihnen kulturdemokratischen Geist einzuhauchen. Doch die Verbreiterung des Angebots im Verbund mit der ständigen Verbilligung hat dem Mittelfeld der Kultur den Reiz des Aufstiegsversprechens geraubt. Die besten Opern und Museen erobern ihn mit ihrer Geld verschlingenden Opulenz zurück, die große Mehrheit der Institutionen muss allerdings kapitulieren und bleibt Treffpunkt ihrer Stammkunden.
    Vor allem aber verschaffen sich die gesuchten Konsumenten den Reiz mittels Reisen heute selbst. Dabei ziehen sie die bekannten Einrichtungen vor. Wieso sollen sie Tausende Kilometer reisen, um Mittelmaß oder magere Ambition zu konsumieren? Das wiederum erklärt das wachsende Ungleichgewicht zwischen reichen und armen Kultureinrichtungen. Bei einer mehr oder weniger stabilen Gesamtzahl an Besuchern sind die Erfolge der Großen nur durch die Entleerung der Kleinen möglich. Daraus ließe sich eine erste Lehre ziehen für die kulturelle Aufrüstung der kleinen und mittelgroßen Städte. Banalisierung durch Überangebot sowie wachsende Mobilität der Bürger machen die kostspieligen Bemühungen obsolet, im touristischen Aufmerksamkeitszirkus mitzuhalten. Nur die Schulden steigen. Spanien hat es vorgemacht.
    Halt, erklingt das dritte Argument für den Ausbau, viele Häuser erhöhten die innere Vielfalt. Auch dieser Mechanismus hat sich ins Gegenteil verkehrt. Ein Beispiel aus der Schweiz erhellt die Verdrehung der ursprünglichen Intention: Die Eröffnung des »Theaters am Neumarkt« in Zürich im Jahre 1966 gab den Blick frei auf ein neues Verständnis von Theater, moderner als der Tanker »Schauspielhaus«. Die Zukunft des Theaters für ein Zehntel der Subvention, das war die Idee. Dritter Pol wurde 1979 das »Theaterspektakel«, die Festivalplattform des freien Theaters, 1988 ergänzt um die »Gessnerallee« als deren ständiges Produktionszentrum. Heute profilieren sich die Häuser mit denselben Namen, der Kleine versucht mit Zusatzgeldern den Großen zu toppen. Aus dem Widerstreit der Kunstmodelle (und der darin gespiegelten Gesellschaftsmodelle) ist unter dem Druck eines sich schließenden Wertekreislaufs und einer Hochkulturnorm die Monokultur des konzeptionellen Regietheaters wiedererstanden, wo sich einmal klassisches Sprechtheater, experimentelle Bühne und interdisziplinäre szenische Performance gegenüberstanden. Und das ist kein Qualitätsurteil, nur eine Feststellung aus der Distanz. Die Euphorie ist weg, und dafür gibt es Gründe. Die deutsche Theaterlandschaft, immer noch ernsthaft buhlend um einen UNESCO -Status als einzigartiges Weltkulturerbe, belegt dieses »Überall das Gleiche« flächendeckend.
    Die Erweiterung des Spektrums ist seiner Homogenisierung gewichen. Vermehrt haben sich die Namen, durchgesetzt hat sich ein bestimmter Typ Kunst, welcher durch seine innere Gestaltung, seine Regie oder sein kuratorisches Arrangement mehr sein will als die Erweiterung von Wirklichkeit – er beansprucht, immer auch Metadiskurs zu sein und zu erklären, wie Wertediskurse in die Welt kommen. Ob das die Aufgabe von Kunst ist, kann man mit Fug und Recht bezweifeln. Die Verengung auf das postmoderne Prinzip der Traditionsverleugnung und der unbedingten Originalität liefert hingegen eine wichtige Erklärung, warum das erweiterte Angebot nicht auf proportionale Resonanz stößt. Es ist zu einseitig. Anders lässt sich nicht erklären, warum es praktisch keine Brücke zwischen dem institutionellen Kunstsektor und dem breiten Laiensektor gibt, der das größte denkbare Publikumsreservoir stellen müsste.
    Die Unantastbarkeit der kulturellen Infrastruktur wird gern aus der Furcht vor dem Kahlschlag hergeleitet, dem Ende einer europäischen Kultur. Getreu dieser hohen Wertigkeit von gebauter Struktur manifestiert die Kultur sich in einer skulpturalen Architektur, welche die Kunst durch die Hülle ersetzt, die sie beherbergen will, am schönsten ausgeführt am neuen Museum für zeitgenössische Kunst » MAXXI « in Rom, dessen schiefe Wände zum Hängen von Bildern nicht taugen, wie der Alt-Museumsdirektor Christoph Vitali am Tag nach der Eröffnung wetterte. Das Interesse richtet sich auf das Gebäude, die Inhalte sind bloß noch Vorwand, der die Kosten der Hülle rechtfertigt. Es gäbe unzählige andere Beispiele; ist die Institution als physische Struktur ein ästhetisches Zeichen, dann wird der Inhalt lästig. Doch es sind diese Metazeichen, an denen Politik sich heute orientiert,

Weitere Kostenlose Bücher