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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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müsste ansetzen bei den neuen Formen kulturellen Ausdrucks, etwa Computerspielen und anderen digitalen Produkten. Start-ups und Kulturparks würden unterstützt, günstige rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen geschaffen, juristische Unterstützung und intelligenter Urheberschutz angeboten. Im Mittelpunkt müssen hier Inhalte für die vielen stehen und Projekte, welche neue Verhaltensweisen in Rechnung stellen, nicht die Domestizierung nach Großvaterart anstreben. Kulturindustrie ist mehr als Kunstproduktion und Kunsthandwerk, wie es gern dargestellt wird, weit mehr als Beschäftigung. Sie ist Herstellung und Vertrieb von ästhetischen Erlebnissen in Warenform mit dem unbeugsamen Willen zum Erfolg. Kulturindustrie setzt auf Unternehmergeist. Der Aufbau einer europäischen Kulturindustrie ist ein Projekt globalen Ausmaßes, welches hoch arbeitsteilige Kreativität bedingt – und in der Arbeitsteiligkeit auch den europäischen Mythos verabschiedet, dass Kreativität und Individuum dasselbe seien. Kulturwirtschaftliche Projekte denken in Verkäuflichkeit, auch im Vertrauen auf Millionen anspruchsvoller Konsumenten in aller Welt, die nach außergewöhnlichen Empfindungen suchen. Es mag euphorisch klingen, doch in diesem Projekt liegen höchste Schwierigkeiten. Denn es impliziert, dass Kunst als Ware auch Kunst ist und dass es nützlich ist, Kulturgelder in eine Ökonomie der Ästhetik zu lenken, die ausschließlich nachfrageorientiert funktioniert und dafür besonders innovativ sein muss.
Ein Fünftel geht an die Kunsthochschulen. Sie müssen, soll eine europäische Kultur global bestehen, zu Produktionszentren ausgebaut werden, wo nicht nur Theorie gebüffelt und Konzeptkunst erstellt, sondern im Verbund mit Produzenten am Markt – Filmherstellern, Galerien, öffentlichen und privaten Museen, Verlagen, Konzertveranstaltern, Radio- und Fernsehstationen – tatsächlich Produkte geschaffen und einem laufenden Wirklichkeitstest unterworfen werden. Kunsthochschulen müssen über ausgedehnte Stipendien-Systeme viele Studierende aus andern Kulturen anziehen können, um Vielfalt erfahrbar und für das kreative Arbeiten fruchtbar zu machen. Das wäre das Gegenteil von laborähnlichen Elfenbeintürmen des europäischen Kultur- und Zukunftsskeptizismus, das Gegenteil von Kapellen für die Anbetung staatlicher Garantien. An deren Stelle stünden selektive Systeme für Künstler und Kulturmanager, die vom ersten Tag an für diverse Publika produzieren und sich als Unternehmer erproben.
Die letzte Tranche ginge an eine gegenwartsbezogene kulturelle Bildung: eine Bildung, die uns türkische Kunst, amerikanische Kulturindustrie oder chinesischen Nationalismus näherbringt. Das sind einige der kulturellen Kräfte, welche die Gegenwart gestalten. Von dort kommen die Einflüsse, die unsere Kultur prägen und auch die Kunst. Sie zu verstehen ist so wichtig, wie die deutsche Klassik oder die Literatur der Vorkriegszeit zu kennen.
    So überschaubar gestaltet sich eine Umverteilung hin zu den gesellschaftlich-kulturell produktiven Kräften und Strukturen, hin zu einer kulturell-ökonomischem Wertschöpfung, hin zu einer Gesellschaft, welche bereits mobil und konsumfreudig ist, die kulturell aber dezentraler, digitaler sein wird als das, was uns die Achtziger vermacht haben und was uns aufzehrt. Die europäische Kultur würde nicht untergehen, ihr fiele kein Stein aus der Krone. Vielmehr bekäme sie ein paar Werkzeuge in die Hand, aus der staatlich gepolsterten Nische heraus und in eine Offensive zu gehen, die mehr Freiheit ermöglicht – mehr Freiheit vom Staat der mäßigenden Kommissionen.
    Maßnahmen sind eines. Sie fruchten nur, wenn sie von einer produktiven Haltung begleitet sind. Diese zu verinnerlichen und dem Druck der bisherigen Nutznießer zu widerstehen, wird schwierig genug sein. Sie ließe sich so beschreiben: Zeigen wir Respekt und Anerkennung für alle nicht subventionierte Produktion – Kunst gedeiht zuallererst in Freiheit. Erfolg ist keine Schande und spricht nicht gegen Substanz. Kommerzieller Erfolg ist eine großartige Möglichkeit, unabhängig zu bleiben. Wer kommerziell arbeitet, arbeitet genauso im Sinne von Kultur wie jener, der unabhängig von Nachfrage arbeitet.
    Alle wollen leben von ihrer Arbeit, die Beleuchter des freien Theaters genauso wie die Autoren und ihre Verleger oder die Intendantinnen der großen Häuser, die Tänzerinnen und die Kabarettisten. Förderung ist immer subsidiär – zur

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