Der Kulturinfarkt
wenn die Hausaufgaben gemacht sind und sich die Gesellschaft auf die Ziele verständigt hat.
Die Tiefe und Breite eines Diskurses zur kulturellen Infrastruktur und die dafür nötigen kulturellen, bildungsbezogenen, sozialen und wirtschaftlichen Kenntnisse sollte niemand unterschätzen, auch nicht den kleinteiligen Kulturbetrieb mit seinen Binnenkonkurrenzen und ausgeprägten Platzhirschmentalitäten. Folgende Fragen müssen beantwortet werden:
Was und wer soll mit den aus Steuermitteln geförderten Kulturangeboten erreicht werden?
In welcher institutionellen Struktur lässt sich dies erreichen?
Welche Schnittstellen zu anderen öffentlichen Handlungsbereichen (Bildung vor allem) sind zu berücksichtigen?
Wenn man unsere Erkenntnisse zu den politischen und ökonomischen Folgen meritorischen Staatshandelns ernst nimmt, so müsste jede öffentliche Förderentscheidung die nachstehenden Bedingungen erfüllen:
Ist das geförderte Gut kulturpolitisch relevant? Werden mit der Förderung nachvollziehbare kulturpolitische Ziele verfolgt? Waren die Verfahren zur Zielformulierung belastbar?
Liegt im Bereich der konkreten Förderentscheidung ein Marktversagen vor? Sind auf dem Markt gebildete Preise kulturpolitisch zu hoch oder Angebote zu klein?
Rechtfertigen die Förderziele einen Eingriff in den Markt, der die Chancen privater Anbieter verschlechtert?
Wird eine dieser Fragen negativ beantwortet, fällt die Förderung eines Vorhabens durch die öffentliche Hand weg. Umgekehrt: Werden alle Fragen bejaht, so kommt eine Förderung infrage. Wie das meritorische Gut erstellt wird, ist dabei noch offen. Die öffentliche Hand kann Leistung selbst erbringen (etwa eine Musikschule als Abteilung innerhalb eines Kulturamtes führen), einen Verein durch Zuschüsse unterstützen oder kommerzielle Anbieter beauftragen.
Verfährt man so, sind Kulturetats das praktische Ergebnis zweckhaften Handelns. Derzeit entstehen sie allerdings mehr aus Gewohnheit denn aus Zielbewusstsein. Tradition und das Eigengewicht von Institutionen steuern die öffentlichen Ausgaben. »Das haben wir letztes Jahr auch schon so gemacht.« Oder, elaborierter: »Diese Förderung ist historisch gewachsen.« Es ist oft zufällig, welche Bereiche mit Geld bedacht werden und welche nicht. Jazz wird gefördert, das ist völlig in Ordnung, das hören wir gern. Rockmusik ist zu laut. Andere sehen das anders.
Wie kann der fördernde Staat seinen eigenen Infarkt verhindern? Wie kann Kultur wieder zu einer beweglichen Größe werden? Wir hatten gesehen, dass dem »Kulturstaat« sein eigenes, hoheitliches Selbstverständnis im Weg steht. Fängt man andersherum an, fragt man aus dem Blickwinkel einer politischen Ökonomie nach der staatlichen Rolle in der Kultur, dann sollte man »Güterklassen« unterscheiden, die für staatliches Handeln im Kultursektor wichtig sind.
Wirtschaftsgüter. Wirtschaften ist der Umgang mit knappen Gütern. Dies gilt sowohl für materielle Güter (im Kulturbetrieb etwa Gemälde, Skulpturen, Bücher, Filme, CD s, DVD s) wie auch für Dienstleistungen (im Kulturbetrieb beispielsweise Theateraufführungen, Ausstellungen, Konzerte, Musik- und Volkshochschulunterricht). Wirtschaftsgüter werden auf Märkten gehandelt. Dort unterliegen sie dem Gesetz von Angebot und Nachfrage sowie anderen Einflussfaktoren. Ist die Nachfrage nach einem künstlerischen oder kulturellen Gut hoch, das Angebot aber knapp und nicht oder kaum vermehrbar und sind die Märkte unreguliert, so werden Preise hoch sein. Der Kunstmarkt funktioniert so. Umgekehrt, wo Angebote reichlich und leicht vermehrbar sind, werden Preise niedrig sein. Der Tonträgermarkt funktioniert so. Wenn Anbieter ihre Kosten nicht mehr decken können, kommt es zu Marktbereinigungen. Einige werden vom Markt verschwinden. Dies verknappt das Angebot und führt zu höheren Preisen. So weit das Lehrbuch.
Öffentliche Güter und Dienstleistungen. Von den wirtschaftlichen Gütern und Dienstleistungen sind sie gänzlich verschieden. An ihrer Herstellung hat der Staat ein primäres Interesse, er entzieht sie dem Marktmechanismus. Archivwesen und Denkmalschutz sind in Deutschland gesetzlich gebunden, sachliche Mindeststandards sind festgelegt. Hier entstehen Preise und der Umfang des Angebots nicht auf Märkten, sondern der Staat entscheidet per Gesetz über die Güter und ihre Verfügbarkeit. Kein Denkmalpfleger darf dulden, dass jedermann in der Gegend herumgräbt oder seinem privaten Verständnis von
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