Der Kulturinfarkt
fehlenden Publikumserfolg kompensieren kann.
Das Schweizer System, wie es ursprünglich angelegt war, erscheint uns als attraktiv und ausbaufähig. Das würde auch die Komplexität der Entscheidungsprozesse reduzieren. Darüber hinaus schlagen wir Unterstützung für die wichtigsten Festivals und zinslose Darlehen vor. Mehr nicht. Schon gar keine Filmförderung auf kommunaler oder regionaler Ebene. Kleingemüse erzeugt heute jeder Handybesitzer.
Die Buchproduktion ist wie Musik und Film stark privatwirtschaftlich organisiert. Literatur brachte dank Gutenberg die erste kommerzielle Öffnung des Kultursektors. Bücher genießen in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor einen Sonderstatus. Sie gelten als Königsweg zur Kultur. Tatsache ist auch, dass die Literaturbranche trotz aller Krisenbehauptungen jedes Jahr mehr Titel auflegt als im Vorjahr. Die Utopie einer vereinfachten und transparenten Förderung wird sich in der Literatur am allerwenigsten umsetzen lassen, zu unüberschaubar sind Maßnahmen und Akteure. Es gibt drei Säulen des Literaturbetriebs: Autoren, Verleger, Bibliotheken. Und die Buchhandlungen? Dazu gleich mehr weiter unten.
Was die Förderung von Autoren angeht, steht sie nach dem Konzept kultureller Komplexe den Verlagen zu. Der Verlag hilft den Schriftstellern bereits, indem er ihnen Manuskripte abkauft und Erfolgsbeteiligungen auszahlt. Förderung meint jedoch mehr: wirtschaftliche Bevorteilung von besonderen künstlerischen Werten, die am Markt nicht bestehen würden. Auch diese Aufgabe können Verleger im Auftrag und mit Geldern des Staates direkt wahrnehmen: Aufbau des Nachwuchses, Herausgabe von Lyrik oder von Übersetzungen. Als Unternehmer kennen sie die Aufnahmefähigkeit des Marktes, sie würden, so ist anzunehmen, Fördergelder durchaus wirksam einsetzen, da ihr eigenes Unternehmen die positiven wie negativen Konsequenzen mittragen muss. Damit wäre auch erledigt, was an Verlagsförderung nötig ist. Zu Förderkrediten, die sie an Autoren weitergeben, kämen sie über periodische Submissionsverfahren. Literaturhäuser, die als neue Form von Kultureinrichtungen in den letzten 20 Jahren entstanden sind, müssten mit Bibliotheken (von denen sie im Grunde herkommen) zusammengeschlossen werden; das würde die Bibliotheken aufwerten. Die Organisation von Lesungen ist zudem ein klassisches Tätigkeitsgebiet von literarischen Gesellschaften. Gerade die geringen Kosten prädestinieren sie als Feld privater Initiative. Der Staat selbst sollte allenfalls ein paar wirklich große Literaturpreise ausloben. Dass jede Ortschaft, in der ein Schriftsteller gewohnt hat oder eine Autorin geboren wurde, einen mit einem mittleren vierstelligen Eurobetrag dotierten Literaturpreis ausschreibt, dafür aber die örtliche Bibliothek nicht ausreichend finanziert, kann man gar nicht so selten beobachten. Die öffentlichen Hände sollten sich um die Nachfrage nach Literatur kümmern – das erreicht man durch guten mutter- wie fremdsprachlichen Unterricht, durch komfortable Bibliotheken und Förderung von Lesungen.
Bleiben die Buchhandlungen. Der Buchmarkt steht vor fundamentalen Veränderungen, ausgelöst durch die Digitalisierung. Gegen ruinöse Konkurrenz und die globalen Umwälzungen wird die Buchpreisbindung ins Feld geführt. Erfunden wurde sie als reines Buchhandelskartell 1888 vom Börsenverein des deutschen Buchhandels. Von den Alliierten fast abgeschafft, schlossen sich dem Buchpreisbindungssystem 1993 auch Österreich und die Schweiz an. In der Schweiz wurde sie 2007 abgeschafft, 2011 hat das Parlament die Wiedereinführung beschlossen. Doch dagegen haben wirtschaftsliberale Kreise und ein Literaturgroßhändler das Referendum ergriffen. Das Volk wird Gelegenheit haben, darüber abzustimmen, ob es die Buchpreisbindung will. Ein interessanter Test: Schützen die Stimmbürger ein kulturell unterlegtes Kartell oder ziehen sie den Preiskampf auf einem offenen Markt vor? Tatsächlich sind in der Schweiz seit Abschaffung der Buchpreisbindung einige Buchhandlungen eingegangen. Aber es ist schwer zu sagen, ob wegen des Wegfalls des Preisschutzes, wegen des Online-Buchhandels, der dem physischen Handel konstant Marktanteile abgräbt, oder weil das Lesen an Bedeutung verloren hat.
Für die Buchpreisbindung spricht, dass sie den Staat nichts kostet. Sie ist gewissermaßen ein sich selbst finanzierendes Fördersystem für den Buchhandel. Die Bestseller subventionieren die wenig gelesene literarische Kunst und
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