Der Kulturinfarkt
Agenturarbeit und transdisziplinärer Produktion verdienen unternehmerische Starthilfen, werden sich aber mittelfristig selbst behaupten müssen.
Ging es bei der Literatur sozusagen um die Manufaktur, so gründet der Film auf einer eigentlichen Industrie, vor allem seit er sich mit dem Fernsehen verbunden hat. Sinnvoll ist, die kritische Praxis wichtiger medialer Techniken jeweils im eigenen Land zu entwickeln. Doch wie überall hat die Ausdehnung der Förderung zur Gießkanne geführt, mit dem Ergebnis, dass jede halb gare Idee finanziert wird. Bloß geht es hier um mindestens sechsstellige Unterstützungsbeiträge, wo die Literatur sich mit vierstelligen befrieden ließ.
Die Besonderheit des Films ist, dass er als potentes Massenmedium wahrgenommen und folglich der politischen Kontrolle unterworfen wurde. Das wurde im Bolschewismus und im Nationalsozialismus sichtbar und hat sich in einem abgeschwächten Sinn unter demokratischen Vorzeichen erhalten. Den Schweizern beispielsweise wäre es nie eingefallen, die Filmproduktion in die autonome Kulturstiftung Pro Helvetia auszulagern; die Politik hätte sich so einer Einflussmöglichkeit beraubt.
Natürlich hat sich auch in der Filmproduktion die Idee der nachfragebefreiten Kunst breitgemacht. Das geschah ab Ende der Fünfziger über die französische Nouvelle Vague, welche starken Einfluss auf die Schweizer Cinéasten ausübte, den Neuen Deutschen Film (Oberhausener Manifest von 1962) und das neue österreichische Filmschaffen nach 1968, welches in den Achtzigern zur Blüte gelangte. Filme werden seither um ihrer inhärenten nachfragefreien Qualitäten willen gefördert. Doch den Anspruch des Massenmediums wurde der Film zum Glück nie ganz los, ob er nun in einer freien Interpretation von Oscar Wildes Diktum sublimiertes Verbrechen ist oder nicht.
Die Filmförderlandschaft in Deutschland ist sehr zerklüftet. Wesentliche öffentliche Akteure sind neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dem Bund die Filmförderanstalten der Länder. Letztere konkurrieren auf der einen Seite darum, Filmproduktion als Imageträger und als Wirtschaftsfaktor in den jeweiligen Regionen zu halten, auf der anderen Seite müssen sie kooperieren, weil die Projekte die verfügbaren Fördersummen überschreiten und in der Fördermechanik Kooperation besonders honoriert wird. Mehr Geld haben ohnehin die Rundfunkanstalten; gegen ihre Voten sind wichtige Förderentscheidungen kaum möglich. Die Gremien, in denen Förderentscheidungen getroffen werden, sind entsprechend komplex und zeigen in ihrer Praxis alle Nachteile, die bei der Förderung auf der Basis von Interessenbalance auch anderswo auftreten.
Die Schweiz berücksichtigt seit 1997 den Nachfrageaspekt durch eine erfolgsabhängige Filmförderung unter dem Titel »Succès Cinéma«: Jeder Schweizer Film erhält ab einer bestimmten unteren Schwelle für jeden Kinoeintritt einen Bonus gutgeschrieben, für Dokumentar- oder Kinderfilme liegt er tiefer als für Spielfilme. Das geht bis zu einer bestimmten oberen Schwelle. Wer die erreicht, hat einen Erfolg gelandet; ab da schenkt das System nicht weiter ein. Der aufgelaufene Bonus wird am Jahresende den am Film Beteiligten als Starthilfe für anschließende Produktionen gutgeschrieben.
Die erfolgsabhängige Filmförderung belohnt den Filmproduzenten, und sei es der Regisseur selbst, dafür, dass er ein Publikum findet. Die obere Schwelle verhindert, dass Blockbuster unnötig vom Prinzip profitieren. Das Prinzip verbessert die Ausgangslage anspruchsvoller Produktionen, ohne die Nachfrage auszuschalten. Doch auf Druck der Filmbranche wurde es per 2012 aufgeweicht. Jetzt zählen auch Festivaleinladungen bei der Erfolgsmessung. Das heißt, das Expertenurteil relativiert die Nachfrage. Damit ist der erste Schritt zu einem erneut geschlossenen System Autor-Regisseur-Kritiker-Autor-Regisseur getan. Der Antagonismus zwischen Expertenbonus, wirksam in der selektiven Produktionsförderung, und dem Nachfragebonus als Herz von »Succès Cinéma« schwindet, das Binnenurteil der Filmkünstler nimmt überhand. Damit nähert sich das Schweizer System bedauerlicherweise dem deutschen und österreichischen System der Referenzfilmförderung an, wo künftige Projekte unterstützt werden, wenn ein früherer Referenzfilm aus demselben Hause zu einem Minimum an Verleiheinnahmen oder Kinoeintritten führte, wobei in beiden Ländern die positive Prädikatisierung durch eine Fachstelle oder durch Festivals
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