Der Kulturinfarkt
gut. Mit dem »Landwirtschaftssimulator« verfügt das Land über einen ersten, übrigens höchst friedlichen, Game-Bestseller. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich haben sich die Disney Research Laboratories niedergelassen, unterschiedliche Kleinfirmen bringen führende Softwareprodukte (Emulatoren für physikalische Effekte, Städtedesign und Ähnliches) auf den Markt, welche das Entwickeln neuer Spiele beschleunigen, der französische Gameproduzent Ubisoft will in Zürich ein Forschungsstudio einrichten. Die Wirtschaftsförderung wittert Morgenluft, weiß aber nicht recht, wie mit dem Phänomen Computerspiel umgehen. Nur die Politik diskutiert noch immer die Gewaltfrage.
In Deutschland gewöhnt sich die Politik allmählich an den Gedanken, dass ein neues Medium eine neue Kunst gebiert, auch wenn der deutsche Computerspielpreis wohl eher dazu taugt, Spiele als Kunst zu verhindern. Einzelne Länder, vor allem Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, versuchen, die Förderung einer regionalen Gameproduktion unter dem Titel Standortentwicklung zu forcieren. Frankreich ist mit der Förderung ausgewählter, das Medium narrativ wie technologisch entwickelnder Spiele schon weit. »Heavy Rain« des französischen Entwicklerstudios Quantic Dreams, veröffentlicht 2010, setzte Maßstäbe, was Interaktivität und Vermischung von Film und Spiel angeht. Frankreichs Gameförderung setzt bewusst auf die Mischung von Kunstanspruch und kommerziellem Erfolg. Die staatliche Förderung von Computerspielen könnte genau das sein, was Kulturförderung heute nicht sein darf, da sie unter den verbrieften institutionellen Ansprüchen erstickt: zeitlich begrenzte Innovationsförderung mit Blick auf Anspruch und Breite.
Da Computerspiele das dominierende Kulturmedium der Zukunft sind und das Fernsehen womöglich ablösen, ist es nötig, kreative Kompetenzen in jedem Land zu entwickeln. Denn nur wo diese vorhanden sind, entwickelt sich ein kritischer Diskurs zum Medium und seiner Produktion. Deshalb ist es erforderlich, Gamedesign wie andere Künste zu fördern. Die Unterschiede zu den gängigen Mustern von Förderung lägen hingegen darin, dass es bei Computerspielen in erster Linie um Förderung von Forschung, Innovation und digitaler Distribution und, in einem zweiten Schritt, um die Eingliederung in die kulturwirtschaftlichen Konzepte von Unternehmungsgründungen, Coaching und Infrastrukturhilfe geht. So hoch der qualitative Anspruch der jungen Gamedesigner ist, so groß ist auch die Chance, dass das Medium, das als einziges nur im digitalen Raum existiert, aus eigener Kraft Kunst und Erfolg verbindet, so wie das Hollywood in seinen besten Momenten auf der Leinwand tut. Die Stärke des Spielesektors liegt wie bei der Literatur darin, dass er keine Institutionen der Rezeption benötigt, die Vernetzung der Spieler ist Teil der Spiele selbst. Dass Förderung sich also auf Grundlagenarbeit, die Initialphase kreativer Unternehmen, Prototypen und mediengerechte Preise als Beweise von Anerkennung und Leistungsfähigkeit beschränken kann. Was der Rezipient braucht – Computer und Internetzugang –, darüber verfügen 90 Prozent der Bevölkerung bereits. Um den Computerspielen ihren Platz im Kultursystem zuzuweisen – mittelfristig sicher auf Kosten anderer, überförderter Künste –, braucht es zuallererst politische Anerkennung. Die ist womöglich schwieriger beizubringen als Geld, verlangt sie doch, dass die Hüter des Kulturbegriffs über ihren Schatten springen.
Architektur, ein Seitenzweig von Design, bedarf am wenigsten der Förderung. Erstens gibt es einen funktionierenden Markt, seitens der Öffentlichkeit auch eine große Nachfrage nach ästhetisch experimentellen Bauten, dank politischer Regelungslust eine Menge neuer Vorgaben (man denke an den Energiebereich), die bauliche Innovation antreiben. Doch wie alle Bereiche, die unser Leben unmittelbar gestalten, verdient Architektur eine öffentliche Diskussion und öffentliche Anerkennung. Das können Architekturmuseen leisten – inklusive der Preise, welche hochwertiger Architektur so gut zukommen wie herausragender Musik, Literatur, ungewöhnlichem Theater oder Tanz.
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