Der Kunstreiter
Todes war deshalb auch allen klar; er mußte, jedenfalls im Trunke, hier den Weg verfehlt haben und in das Wasser hineingetaumelt sein, dessen Ufer er doch wohl wieder erreicht hätte, wenn ihn eben nicht der zähe, elastische Zweig daran verhinderte, überdies seiner Sinne nicht mächtig und mit dem geschwächten Körper, ließ es sich leicht erklären, daß er selbst in dem schmalen und eben nicht tiefen Bache ertrinken konnte.
Die Männer hoben die Leiche schweigend aufs Trockene, und einige der mitgebrachten Seile quer zwischen die beiden Stangen bindend, machten sie eine Art von Bahre daraus, auf der sie den alten Tobias ins Dorf und in die Mühle hinabtrugen.
24.
Georgine war angekleidet und saß über einen Brief brütend in ihrer Stube, deren Riegel sie vorgeschoben hatte. Wieder und wieder las sie das Schreiben durch, und dann, als ob ihr der Inhalt keine Ruhe lasse, sprang sie auf und ging mit festverschränkten Armen und raschen Schritten in dem Gemache auf und ab.
»Und wer könnte mich tadeln, wenn ich meinem Willen folgte?« murmelte sie dabei leise vor sich hin. »Liebt das gefangene Tier nicht seine Freiheit und sucht sie wieder zu erlangen, wieviel mehr denn der Mensch, dem die Natur nicht umsonst den kühnen Geist gegeben! – Und bin ich weniger als eine Gefangene in diesem öden, abgelegenen Hause, das ich nur wie der an einen Faden gebundene Vogel verlassen darf, um hierher zurückzukehren, wenn es meinem Herrn gefällt, mich wieder an dem Faden einzuziehen? Gift und Tod!« zürnte sie, und die dunkeln Augen sprühten Feuer, die Lippenpreßten sich zusammen, und der kleine Fuß stampfte ungeduldig, wild den Boden.
»Und jetzt gerade – jetzt kommt der Brief, wo Georg – – und ich kann nicht fort. Ohne Geld – ohne Paß, eine Frau allein mit Ihrem Kinde. An den Stäben darf ich rütteln, an den Stäben, die mich halten, und meinem Zorn darf ich Luft machen, heimlich – heimlich, daß es niemand hört, und das ist Georgine – das ist die kühne Reiterin – das ist die Frau, die ihr Schicksal nur deshalb an diesen Georg Bertrand fesselte, weil er noch kühner war als sie, und die sich jetzt von ihm an den Pflug spannen läßt, den Acker für das tägliche Brot als Bäuerin zu lockern.« Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach sie, und rasch den Kopf danach umdrehend, rief sie: »Wer ist da?«
»Ich bin's,« sagte die Wirtschafterin, und zu gleicher Zeit versuchte eine Hand die Tür zu öffnen, was jedoch der noch vorgeschobene Riegel verhinderte.
»Was wollen Sie?«
»Ein fremder Herr ist da,« lautete die Antwort, »der erst nach dem Herrn Baron gefragt hat und dann die Frau Baronin zu sprechen wünschte. Er hat mir seine Karte gegeben, und ich habe ihn solange in das Besuchszimmer geführt, aber es ist dort nicht eingeheizt.«
Georgine ging zur Tür, schob den Riegel zurück und nahm die Karte, die sie leise las: »Baron Hugo von Silberglanz?«
»In des Herrn Barons Zimmer ist es noch warm,« fuhr dabei die Wirtschafterin fort, »aber da hinein durfte ich ihn ja doch nicht bringen, denn da liegen immer so viele Papiere herum, und der Herr Baron hat's auch nicht gern.«
»Nein – versteht sich,« sagte Georgine, die Karte noch immer kopfschüttelnd in der Hand, »schicken Sie mir doch das Mädchen, daß es hier ein wenig aufräumt, und gehen Sie dann zu dem fremden Herrn hinüber und bitten ihn, ein wenig zu verziehen – nachher bringen – Sie ihn hier in mein Zimmer.«
»Soll gleich besorgt werden, gnädige Frau,« sagte die Wirtschafterin, indem sie geschäftig nach ihrem Schlüsselbund griff, »und doch wohl ein bißchen Frühstück besorgen, wenn es ein alter Bekannter ist?«
»Frühstück? – ich weiß es nicht – warten Sie damit, bis ich klingeln und danach verlangen werde – ich kenne den Herrn gar nicht.«
Die Wirtschafterin ging, und Georgine blieb ln einem eigenen Zustande von Zweifel und Staunen zurück.
»Baron Silberglanz?« sagte sie leise, »ist das nicht derselbe fade Mensch, der mich in *** mit seinem zudringlichen Wesen verfolgte, und was hätte den hierher zu uns geführt? Soviel ich weiß, kennt ihn Georg gar nicht – und sollte er mich suchen? aber woher wüßte er, daß ich hier bin? – Ha, vielleicht ist er ein Bekannter des Grafen Geyerstein und bringt Aufträge ober Briefe von ihm. – Geyerstein,« sagte sie, sich auf ihr Sofa werfend und den Kopf in die Hand stützend, »dieser rätselhafte Mensch – ernst und kalt in seinem ganzen
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