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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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wieder festen Fuß fassen konnte, schnellte der elastische Reifen zwischen sie und den Sattel, und seitwärts abgedrückt, stürzte sie nach außen auf den Rand der Balustrade.
    Wohl streckten sich eine Menge Arme nach ihr aus, ihren Fall zu brechen. Josefine selber war aber auch gewandt genug, die größte Gefahr schon selber zu vermeiden. Den fremden Armen dabei scheu entgleitend, sprang sie in die Arena zurück, neigte sich beschämt gegen die lautlos zu ihr niederschauenden Menschen und verschwand dann, an ihrer Mutter vorüber, in den Gang.
    Unmöglich wäre es, die Gefühle zu schildern, die bei dieser Szene Georgs Herz zerschnitten, und einmal drängte es ihn schon, durch die Zuschauer hin in den Zirkus zu springen, sein Kind aufzugreifen und mit ihm zu entfliehen. Er mochte auch eine Bewegung dahin gemacht haben, denn Barthold hielt ihn plötzlich erschreckt am Arme fest. Er selber fühlte auch das Wahnsinnige eines solchen Unternehmens, hier in dem fremden Lande aus der Mitte der in Royazets Diensten stehenden Leute, in Gegenwart Georginens, die ihn augenblicklich erkannt hätte, etwas derartiges zu versuchen. Es hätte seine letzte Hoffnung vernichten müssen. Aber er vermochte auch nicht länger diesen Anblick zu ertragen, und Bartholds Arm fassend, zog er ihn mit sich fort, hinaus ins Freie.
    Der alte Forstwart folgte willenlos, obgleich das alles so viel Reiz und Zauber für ihn hatte, daß er wohl noch gern eine Weile länger da geblieben wäre. So verdutzt war er aber auch zugleich über das prachtvolle Erscheinen seiner früheren Herrin und ihrer Tochter – der gnädigen Frau Baronin mit der kleinen Josefine – und so wenig konnte er sich in seinem schlichten Verstand das Ganze zusammenreimen, daß ihm selber vom vielen Denken wirr im Kopfe wurde. Er legte das freilich der furchtbar lärmenden Musik zu Last, von der sie gar nicht weit gestanden hatten, und seine Ohren gellten ihm noch, als sie schon eine Strecke die dunkle Straße entlang geschritten waren.
    Unterwegs wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt. Stumm und schweigend schritten die beiden Männer nebeneinander her, drängten sich durch das Gewühl am Hamburger Berge, kreuzten die stillere Promenade, die Hamburg und Altona voneinander scheidet, und wanderten dann noch eine Strecke durch enge Straßen mit »baumhohen« Häusern, wie der Forstwart bei sich dachte.
    Barthold, so gut er im Walde draußen zu Hause war, so völlig aus seiner Sphäre fühlte er sich hier, und wenn er sich dort etwas auf seine Ortskenntnisse zugute tat, mußte er sich hier gestehen, daß er wie ein Kind von der Führung seines Begleiters abhängig sei. Eine Straße glich ihm vollständig der andern, und bogen sie jetzt rechts und dann links ab, so hätte er zehn gegen eins wetten wollen, daß sie genau denselben Weg zurück machten, den sie gekommen wären. Sehnsüchtig bemerkte er indessen auf ihrem Wege eine Menge hell erleuchteter Fleischläden und Bäckerstände, und drehte ein paarmal verlangend den Kopf danach um. Es war auch kein Wunder; Georg in seiner Aufregung hatte den Tag noch keinen Bissen über seine Lippen gebracht, und dabei ganz vergessen, daß der Alte keineswegs geistig so bewegt sei, um seinen Hunger ebenfalls darüber zu vergessen.
    So vertieft Georg aber auch in seine eigenen schmerzlichen Gedanken sein mochte, so entging ihm doch nicht das zeitweilige Zögern des Alten an solchen Stellen, und er sagte endlich, als sie wieder einmal einen ähnlichen Ort passiert hatten, ohne anzuhalten: »Ihr seid wohl hungrig, Barthold?«
    »Hm – da einmal gerade die Rede davon ist,« meinte der Alte, »so hätte ich allerdings nichts dagegen, wenn ich mir ein Stück Brot und Fleisch kaufen könnte. In der Eile aber, in der wir daheim fortgingen,habe ich ganz vergessen, auch nur einen einzelnen Schilling einzustecken.«
    »Armer Barthold!« sagte Georg gerührt, »habe ich Euch doch ganz vergessen! Aber wartet nur noch wenige Minuten; wir haben gleich unser Ziel erreicht, und dort wollen wir alle beide ordentlich essen. Wir haben es alle beide nötig, denn wir brauchen Kräfte für den morgenden Tag.«
    »O, ich kann's schon eine Weile aushalten, wenn's sein muß – nur – da wir hier so bequem vorüber gingen, dachte ich...«
    »Wir haben es dort noch bequemer. Seht Ihr den von vielen Laternen beleuchteten Platz, auf den wir zugehen? Dort sind wir jetzt zu Hause. Hättet Ihr selber dahin den Weg gefunden?«
    »Im Leben nicht – ich weiß auch nicht

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