Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)
vom Constitution Hill fern. Präge dir das Datum und meine Anweisungen ein! 20. Juni 1840! Gehe nicht zum Constitution Hill!«
Der Junge begann, hysterisch zu kichern. Er hörte nicht mehr auf.
Der Zeitreisende ließ seinen Vorfahren los, stand auf und blickte voller Abscheu auf die erbärmliche Gestalt herab. Eines war offensichtlich: Der Junge war bereits jetzt wahnsinnig.
Der Oxford der Zukunft wandte sich von ihm ab und sprang in den Green Park, 20. Juni 1840. Doch statt in der Nähe des Attentats und einige Minuten vor dem Zeitpunkt aufzutauchen, an dem die Schüsse fallen würden, materialisierte er sich oben auf dem Hügel hinter einem großen Baum. Vom unten liegenden Weg drangen Schreie herauf.
Weit zu seiner Rechten rannte ein Mann in Richtung einer dicht bewaldeten Ecke des Parks. Ein Polizist lief hinter ihm her.
Vor ihm, am Fuße des Abhangs, kniete Prinz Albert neben seiner toten Frau, während vier Reiter versuchten, die panische Menge in Schach zu halten.
Auf der anderen Seite der königlichen Kutsche lag ein Toter, ein spitzer Zaunpfahl ragte aus seinem Auge.
»Nein«, keuchte Oxford. »Gottverdammt, nein, nein, nein!«
Er kehrte ins Jahr 1837 und nach Darkening Towers zurück, landete im Garten und fiel auf die Knie. Er erinnerte sich daran, wie er Oxford neben der Kutsche der Königin gepackt hatte. Sie hatten miteinander gerungen und sein Vorfahr hatte ausgerufen: »Lass mich los! Mein Name muss berühmt werden! Ich muss in die Geschichte eingehen!«
»Das kann nicht sein!«, rief Oxford und hob das Gesicht zum Himmel. »Ich kann das nicht alles verursacht haben! Das kann nicht sein! Es kann nicht sein!«
Während der nächsten zehn Tage war Edward Oxford ans Bett gefesselt. Er litt an hohem Fieber, das ihn stundenlang unverständlich vor sich hinlallen ließ.
Henry de La Poer Beresford kümmerte sich gewissenhaft um seinen Gast. Der seltsame Mann aus der Zukunft faszinierte ihn.
»Wie sehr wir den Göttern ähneln können«, sagte er eines Tages zu Brock.
Der Kammerdiener beäugte den Patienten mit zweifelndem Blick. Die ausgemergelte Gestalt, die er dort liegen sah, deren Haut sich weiß wie das Laken über die hervorstehenden Wangenknochen spannte, hatte nicht viel Gottgleiches an sich. Oxford schien seit seiner Ankunft im Herrenhaus zwanzig Jahre gealtert zu sein. Tiefe Falten rahmten seinen Mund, die tief in den Höhlen liegenden Augen und die Stirn. Seine Nase war schmal und stand weit hervor.
»Soll ich einen Arzt holen, Sir?«
»Nein, Brock«, antwortete Beresford. »Er hat sich verkühlt, das war’s.«
In Wirklichkeit war es viel mehr als das.
Edward Oxford zerfiel. Gefangen in einer Welt, die ihm fremd war, mit dem Bewusstsein, dass seine eigene Zukunft nicht mehr existierte, löste er sich von der Realität. Die Grundsteine seines Bewusstseins waren im Verfall begriffen und fanden keinen Halt mehr, ohne Koordinaten trieb sein Geist umher. Er verlor den Verstand.
Am Dienstag den 6. Juli 1837 ließ das Fieber plötzlich nach. Es geschah während der Nacht, als Schreie Oxford aus den Schlaf rissen.
Einen Moment lang lag er bewegungslos da und wusste nicht, wo er war. Dann, ganz langsam, kehrte seine lückenhafte Erinnerung zurück, und er stöhnte verzweifelt auf.
Die Schreie hielten an.
Sie hallten durch das Herrenhaus, eine Frau in höchster Qual,ihre Schreie wurden von einer wütenden Männerstimme unterbrochen.
Oxford schob sich aus dem Bett und stand mit wackligen Beinen auf. Er wankte zu einem Stuhl, nahm einen Morgenmantel von der Lehne, zog ihn über und ging unsicheren Schrittes zur Tür.
Er trat in den dahinterliegenden Flur und blieb einen Moment lang an die Wand gelehnt stehen.
»Bitte!«, ertönte die gequälte Stimme der Frau. »Tun Sie es nicht! Ich halte es nicht mehr aus! Gott hab Erbarmen!«
Der Aufruhr kam aus dem Zimmer des Marquis, ein Stück den Flur hinunter.
Oxford ging ein paar Schritte darauf zu, aber plötzlich flog die Tür auf, und eine nackte Frau stürzte hinaus und fiel zu Boden. Mühsam stemmte sie sich auf alle Viere und kroch auf ihn zu. Er sah, dass ihr Rücken kreuz und quer von roten Striemen bedeckt war, einige waren aufgeplatzt und bluteten.
»Hören Sie auf, ich flehe Sie an! Bitte, mein Herr!«, weinte sie.
Beresford torkelte durch den Türrahmen, er trug nur noch eine Kniehose, in der rechten Hand hielt er eine Peitsche, in der linken eine Flasche. Er lachte teuflisch, hob den Arm und ließ die Peitsche auf ihren
Weitere Kostenlose Bücher