Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)
vor, und das Rot ihrer Augen zog sich zusammen, bis es nur noch stecknadelkopfgroß war.
»Heirate das Miststück, Burton. Lass dich nieder. Werde Konsul in Fernando Po, Brasilien, Damaskus oder wo auch immer sie dich verdammt noch mal hinschicken. Schreib deine verfluchten Bücher. Aber vor allem, lass mich in Ruhe. Verstehst du? Lass mich verdammt noch mal in Ruhe!«
Der Stelzenmann kauerte sich zusammen und warf ihm einen finsteren Blick zu. Dann spannte er plötzlich die Muskeln an und schoss senkrecht in die Luft.
Burton verdrehte den Kopf, um nach oben zu sehen. Sein Angreifer flog hoch über die Lagerhäuser und verschwand dann im schwarzen Himmel der Nacht.
Die Kommission
Stirb, mein lieber Doktor! Dies soll meine letzte Tat sein!
LORD PALMERSTON
G rundgütiger!«, rief Lord Palmerston. »Was ist Ihnen denn widerfahren?«
Burton ließ sich vorsichtig auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch des Premierministers nieder. Sein Körper war zerschunden, sein rechtes Auge blau, seine Lippen aufgeplatzt und geschwollen.
»Nur ein Unfall, Sir. Kein Grund zur Sorge.«
»Sie sehen wirklich grässlich aus!«
›Das sagt der Richtige‹, dachte Burton.
Seit zwei Jahren unterzog sich Palmerston nun schon der lebensverlängernden Behandlung der Eugeniker. Obwohl er siebenundsiebzig war, lag seine Lebenserwartung derzeit bei etwa hundertdreißig Jahren. Um dem zu entsprechen, hatte man ihm eine kosmetische Generalüberholung zukommen lassen. Die schlaffe Gesichtshaut war gestrafft, die Fettdepots waren abgesaugt und die Altersflecken entfernt worden. Regelmäßig hatte man lähmende Toxine unter die Falten auf seiner Stirn sowie um Augen und Mund gespritzt, um sie zu glätten und seinem Gesicht die klaren Konturen eines jungen Mannes zu verleihen – oder, wie Burton dachte, denen einer Wachsfigur, denn seiner Meinung nach sah der Premierminister aus, als sei er dem Kabinett von Madam Toussaud entflohen. An ihm war nichts Natürliches mehr, er war das glänzende Spottbild seiner selbst, eine wahnhafte Karikatur:das maskenhafte Gesicht zu blass, die Lippen zu rot, die Koteletten zu buschig, das lockige Haar zu lang und zu schwarz, der mitternachtsblaue Samtanzug zu eng und geckenhaft, das Eau de Cologne zu freizügig verwendet, die Bewegungen zu beherrscht.
»Nun ja«, verkündete der Premierminister, »Sie sind schließlich nicht zum ersten Mal verprügelt worden, nicht wahr? Ich erinnere mich daran, wie Sie mit diesen schrecklichen Wunden im Gesicht aus Abessinien zurückkehrten. Sie scheinen die Schwierigkeiten ja richtiggehend anzuziehen, Burton.«
»Ich würde eher sagen, es ist andersherum«, murmelte der Abenteurer.
»Hmm. Wie auch immer, wenn ich Ihre Biografie so betrachte, sehe ich eine Katastrophe nach der anderen.«
Palmerston blätterte durch einen Bericht auf seinem Schreibtisch. Der Tisch war ein unglaublich großes, schweres Stück aus geschnitztem Mahagoni. Amüsiert stellte Burton fest, dass direkt unter der Tischplatte ein eingelegter Streifen verlief, dessen dekorative Schnitzereien Szenen höchst erotischer Natur zeigten.
Auf dem Tisch lagen nur wenige Dinge: eine Schreibunterlage, ein silberner Federhalter, eine Briefablage, eine Karaffe mit Wasser sowie ein schlankes Glas und, zur Linken des Premierministers, eine seltsame Vorrichtung aus Messing und Glas, die in unregelmäßigen Abständen ein leises Zischen und eine kleine Dampfwolke ausstieß. Burton konnte sich keinen Reim darauf machen, auch nicht, als er sah, dass ein Teil des Gerätes – eine Glasröhre, im Durchmesser ungefähr so breit wie sein Handgelenk – im Tisch verschwand.
»Sie haben unter General Napier in der Ostindienarmee gedient und Geheimdienstaufgaben für ihn übernommen, stimmt das?«
»Das ist korrekt. Ich spreche, neben anderen Sprachen, Hindustanisch, und kann mich gut als Einheimischer ausgeben. Ich nehme an, die Wahl von General Napier lag daher nahe.«
»Wie viele Sprachen beherrschen Sie?«
»Fließend? Bis jetzt vierundzwanzig und ein paar Dialekte.«
»Du meine Güte! Bemerkenswert!«
Palmerston blätterte weiter durch die Seiten. Burton fand es erstaunlich – und ominös –, dass man so viel über ihn geschrieben hatte.
»Napier spricht sehr wohlwollend von Ihnen. Sein Nachfolger, Pringle, nicht.«
»Pringle ist eine schwachsinnige Kröte.«
»Ach, wahrhaftig, ist er das? Grundgütiger, dann sollte ich bei meinen Ernennungen in Zukunft wohl etwas aufmerksamer sein, nicht wahr?«
Burton
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