Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)
einzustellen.«
Burton drehte sich um, doch Lord Palmerston hatte sich wieder über sein Dokument gebeugt und schrieb eifrig.
Der Anstand verlangte, dass keine Frau das Haus eines Junggesellen ohne Begleitperson aufsuchte, aber um Anstand scherte sich Isabel Arundell keinen Deut. Sie war sich wohl bewusst, dass die Gesellschaft sich bereits über ihre ach so hoch getragene Nase dasMaul zerriss, schließlich hatte sie ihren Verlobten alleine nach Bath begleitet und im selben Hotel genächtigt – wenn auch, Gott bewahre, nicht im selben Zimmer. Jetzt brach sie mutwillig ein weiteres Tabu, indem sie ihn ohne Anstandswauwau zu Hause aufsuchte – und das nicht zum ersten Mal.
Ihre willentliche Zerstörung des eigenen Rufes kümmerte sie nicht im Geringsten, denn sie wusste, wenn sie erst verheiratet wären, würden sie und Richard England verlassen und im Ausland leben. Er würde als Regierungskonsul arbeiten, und sie würde eine neue Riege aus Freundinnen um sich scharen, vorzugsweise Nicht-Engländerinnen, unter denen sie als exotische Blume gelten würde, eine zarte Rose unter den dunkleren und, so stellte sie sich vor, weniger feingeistigen Gewächsen aus Damaskus oder vielleicht auch Südamerika.
Sie hatte alles genau geplant, und Isabel Arundell bekam normalerweise, was Isabel Arundell wollte.
Als sie an diesem Nachmittag am Montagu Place Nr. 14 ankam, wurde sie von Mrs Angell nur zögerlich hineingelassen, die – so Isabels Meinung – die dreiste Unverfrorenheit besaß, zu fragen, ob das »junge Fräulein« sicher sei, dass dieser Besuch angemessen wäre. Alsdann hatte die nette alte Dame vorgeschlagen, dass, falls Isabel entschlossen sei, ihr Vorhaben umzusetzen, vielleicht sie – Mrs Angell – während ihres Besuchs an ihrer Seite bleiben sollte, um den sozialen Konventionen Genüge zu tun.
Isabel hatte das gut gemeinte Angebot ungeduldig abgelehnt und war ohne weiteres Aufheben die Treppen hinauf und ins Arbeitszimmer marschiert.
Burton saß in seinem ledernen Lehnstuhl vor dem Kamin, eingehüllt in seine Dschubbe, rauchte eine seiner übelriechenden Stumpen und starrte in den dichten, blauen Zigarrendunst, der im Zimmer waberte. Hier saß er seit seiner Rückkehr aus der Downing Street vor einer Stunde und hatte sich seitdem kaum bewegt. Sein Geist weilte an einem ganz anderen Ort, und er hatte nicht einmal bemerkt, dass Isabel eingetreten war.
»Um Himmels willen, Dick«, schimpfte sie. »Man kommt ja hier aus einem Nebel in den nächsten! Wenn du schon unbedingt …«
Sie hielt inne, keuchte auf und schlug eine behandschuhte Hand vor den Mund. Jetzt erst hatte sie den schillernden Bluterguss bemerkt, der eines seiner Augen zierte. Eine tiefviolette dunkle Quetschung zog sich über die linke Schläfe, sein ganzes Gesicht war voller Kratzer und Schürfwunden. Er sah aus, als hätte ihn die leichte Brigade im Galopp überrollt.
»Was … was … was?«, stotterte sie.
Langsam wandten sich seine Augen ihr zu, und sie sah, wie sein Blick wieder in die Gegenwart zurückkehrte.
»Ah«, sagte er und stand auf. »Isabel, bitte entschuldige. Ich hatte vergessen, dass du kommst.«
»Dein Gesicht, Dick!«, rief sie aus und warf sich plötzlich in seine Arme. »Dein Gesicht! Was, um Himmels willen, ist passiert?«
Er küsste sie auf die Stirn, trat zurück und hielt sie auf Armeslänge von sich.
»Alles, Isabel. Alles ist passiert. Mein Leben scheint sich von einem Augenblick auf den nächsten vollkommen verändert zu haben! Der König selbst hat mir einen Auftrag erteilt!«
»Der König? Einen Auftrag? Dick, ich verstehe nicht. Und warum bist du so schrecklich entstellt?«
»Setz dich. Ich werde versuchen, alles zu erklären. Aber, Isabel, du musst gefasst sein. Denke an das Arabische Sprichwort, das ich dir beigebracht habe: In lam yakhun ma tureed, fa’ariid ma yakhoon .«
Sie übersetzte: »Geschieht nicht, was du willst, dann lerne zu wollen, was geschieht.«
Sie setzte sich hin und wartete mit gerunzelter Stirn, während er zur Kommode hinüberging und ihr einen Tonic einschenkte.
Er kam zurück und reichte ihr das Glas, blieb aber stehen. Seine Miene verriet nichts.
»Das Außenministerium wollte mir ein Konsulat in Fernando Po anbieten«, begann er.
Sie unterbrach ihn: »Ja, ich habe Lord Russell mehrere Briefe geschrieben, in denen ich dich genau für eine solche Position empfohlen habe. Auch wenn mein Vorschlag Damaskus lautete.«
»Du hast was?«, keuchte er überrascht.
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