Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)
»Du hieltst es für angemessen, Lord Russell in meinem Namen zu schreiben, ohne zuerst mit mir zu sprechen?«
»Jetzt stell dich nicht an, Dick. Wir haben oft über ein Konsulat gesprochen. Aber jetzt sag mir doch bitte, was dir widerfahren ist!«
»Alles zu seiner Zeit. Und ich möchte doch anmerken, dass zwischen einer privaten Unterhaltung und einem Bittbrief an einen Regierungsminister ein deutlicher Unterschied besteht!«
»Es war kein Bittbrief«, rief sie.
»Was auch immer. Jedenfalls solltest du weder in meinem Namen sprechen noch Briefe schreiben, es sei denn, ich habe dich ausdrücklich darum gebeten.«
»Ich habe versucht, dir zu helfen!«
»Und es dabei so aussehen lassen, als wäre ich nicht in der Lage, meine Karriere selbst voranzutreiben. Alleine hätte ich vielleicht Damaskus bekommen können. Stattdessen hat mir dein Eingreifen eine Einladung nach Fernando Po beschert. Ich wollte den Laib, und sie haben mir ein paar Krumen vorgeworfen. Weißt du, wo Fernando Po liegt?«
»Nein«, flüsterte sie, und eine Träne rann ihre Wange hinab. Dieser Besuch verlief nicht im Geringsten so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
»Es ist eine spanische Insel vor der Westküste Afrikas, ein unbedeutendes, flohverseuchtes Pestloch, das man weithin als ›des weißen Mannes Grab‹ bezeichnet. Ein Mann, den das Außenministerium zum Konsul von Fernando Po macht, ist ein Mann, den man aus dem Weg haben will. Die Tatsache, dass Lord Russell mich für diesen Posten vorgeschlagen hat, kann nur eines heißen:Ich habe ihn verärgert. Allerdings habe ich das natürlich nicht. Ich hatte ja noch nicht einmal Kontakt zu ihm!«
»Ich war es! Es ist meine Schuld! Oh, es tut mir so leid, Dick, ich wollte doch nur dein Bestes!«
»Und hast das Schlimmste erreicht,« bemerkte er unbarmherzig.
Isabel verbarg das Gesicht in den Händen und weinte.
»Isabel«, sagte Burton sanft. »Als der König mich zum Ritter geschlagen hat, dachte ich, meine Zukunft sei gesichert – unsere Zukunft. Dann kam Johns Verrat. Warum er es getan hat, weiß ich nicht. Er war für mich wie ein jüngerer Bruder, aber er war schwach und hat zugelassen, dass eine böse Macht sich seiner bedient. Wie kein anderer habe ich darum gekämpft, mir einen Namen zu machen. In Indien musste ich Rückschläge und den eifersüchtigen Widerstand der Offiziere überwinden; in Arabien habe ich die Hinrichtung riskiert, indem ich nach Mekka gepilgert bin. In Berbera wurde ich beinahe von Eingeborenen getötet, und in Zentralafrika verlor ich aufgrund von Krankheit und Erschöpfung fast mein Leben. Das alles war nicht mehr wichtig, als John sich gegen mich wandte und meinen Ruf in den Schmutz zog. Was er alles behauptet hat! Bei Gott! Ich hätte ihn auspeitschen sollen! Aber Sentimentalität lähmte mir die Hand, und in diesem Moment war das Kind schon in den Brunnen gefallen. Als er sich erschossen hat, hätte es genauso gut mein Kopf sein können, auf den er die Waffe richtete, bei all dem, was ich deshalb erleiden muss. Denn jetzt, zusätzlich zu all den entsetzlichen Lügen, die er verbreitet hat, macht man mich für seinen Freitod verantwortlich. Am Montag, als ich erfuhr, was er getan hatte, hat der Richard Burton, den du vor zehn Jahren in Boulogne kennengelernt hast – der Burton, in den du dich verliebt hast –, dieser Mann hat aufgehört zu existieren.«
»Nein, Richard! Sag das nicht!«, weinte sie.
»Es ist die Wahrheit. Du hättest einen gebrochenen Mann geheiratet – wenn eines nicht geschehen wäre.«
»Was?«, wimmerte sie.
»An diesem Abend wurde ich angegriffen.«
Isabel blinzelte.
»Angegriffen? Von wem?«
»Von einer Gestalt der Sagen und des Volksglaubens, von einem scheinbar übernatürlichen Wesen, von Spring Heeled Jack.«
Sie starrte ihn wortlos an.
»Es ist die Wahrheit, Isabel. Dann, am Donnerstag Morgen, hat Lord Palmerston mich zu sich gerufen und mir im Namen des Königs einen Posten angeboten. Ich bin jetzt ein … nun ja, es gibt keine richtige Bezeichnung dafür. Palmerston nennt mich ›Agent des Königs‹, auch wenn ›Ermittler‹, ›Detektiv‹ oder sogar ›Berichterstatter‹ vielleicht passender wären. Eine meiner ersten Aufgaben besteht darin, mehr über eben diese Kreatur herauszufinden, die mich angegriffen hat.«
Isabel Arundell erhob sich plötzlich und ging durch den Raum zu einem der Fenster. Sie sah hinaus, als sie sprach.
»Das ist Unsinn, Dick«, beschloss sie entschieden. »Hast du wieder
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